Licht und Schatten im Wechsel

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (06.12.2004)

Der fliegende Holländer, 04.12.2004, Zürich

«Der fliegende Holländer» im Opernhaus Zürich überzeugt szenisch nicht

Wenn David Pountney inszeniert, entstehen normalerweise spannende, eigenständige Produktionen. Beim «Fliegenden Holländer» von Richard Wagner gelang dem britischen Regisseur jedoch wenig.

Die Inszenierungen des britischen Regisseurs und Bregenzer Festspiel-Chefs bestechen jedes Mal durch völlig unverbrauchte und eigenständige Ideen. Das ist auch diesmal der Fall: Eine Video-Installation - «Star City» der beiden britischen Künstlerinnen Jane und Louise Wilson über ein Astronauten-Trainingszentrum in Russland - dient Pountney als Ausgangspunkt. Ein Holländer im Weltraum, Hightech und Maschinen gegen Aberglauben und schwärmerische Irrationalität. Solche Spannungsfelder lotet Pountney normalerweise tiefgreifender aus.

Die Ideen blieben Episoden

Diesmal blieben die Ideen Episoden. Der Zusammenhang fehlte, die Wirkungen verpufften. Ein riesiges Gestell mit zwei beweglichen Leinwänden für die Video-Einspielungen wurde nicht zur Projektionsfläche für Gefühlswelten und Seelenzustände, sondern blieb Gestell: ein fröhliches Wände-Schieben und Drehbühnen-Rotieren, das zunehmend sinnlos erscheint. Zwischen den eindrücklichen Videobildern und der «Holländer»-Handlung entstehen kaum Zusammenhänge, und wo doch, dort fasern sie aus oder werden nicht weitergedacht, weil Pountney diesmal zu wenig exakt gearbeitet hat.

Aber es gab auch Szenen von grosser Dichte und Eindringlichkeit: Eriks Traum-Erzählung etwa, wo Pountney sowohl die Verzweiflung Eriks über das zunehmende Entgleiten seiner Verlobten als auch die romantische Übersteigerung Sentas, die bis ins Körperhaft-Erotische reicht, eindringlich schildert. Auch die unsägliche Geldgier Dalands, der nichts Eiligeres zu tun hat, als händereibend seine Tochter in die Arme des reichen Unbekannten zu treiben, ist hier so deutlich wie selten herausgearbeitet worden. Anderes bleibt wiederum im Unbestimmten. Der Holländer wird als Figur kaum fassbar: Ein Irrender, fast Verwirrter, dessen Sehnsucht nach Erlösung kaum greifbar wird. Die Chor-szenen, die für Pountneys Verhältnisse seltsam statisch und schematisch bleiben, sogar dort, wo er, wie auf dem Fest der Seeleute, sehr viel Action hineininszenieren wollte. Und das Schlussbild mit den beiden Protagonisten als Wasserleichen wirkt auch ziemlich unausgegoren.

Musikalisch hervorragend

Wenn diese Produktion szenisch zu wenig durchgearbeitet wirkt, so gilt das Gegenteil für die musikalische Seite, vor allem für das Orchester, dem unter Christoph von Dohnányi einer seiner ganz grossen Abende gelang. Mit nie nachlassender Intensität führte Dohnányi durch Wagners erste Meister-Partitur und blieb dabei differenziert bis in die kleinsten Details: Kammermusik, aber auch mächtiger Klangrausch, und vor allem aufgefächerte Instrumentalfarben, die jeder Szene ihre ganz eigene Prägung gaben.

Sängerfreundlich dirigierte Dohnányi noch nie - ausser dass er gestochen scharf und zuverlässig die Einsätze gibt. Aber klanglich hat die Partitur für ihn Priorität, was heisst dass ein Wagner-Tutti auch zu mächtiger Klanglichkeit aufgebaut wird, und die Sänger entweder ihr Letztes geben oder untergehen. Da kommt selbst ein vokales Schwergewicht wie Matti Salminen an seine Grenzen. Freilich ist seine Partie nur selten laut, und Salminen bewies viel Fingerspitzengefühl für die treffende Charakterisierung der Krämerseele Daland.

Dasselbe gilt für den Erik, der vom Ensemblemitglied Rudolf Schasching überraschend stark und intensiv gesungen wurde. Andere mussten weiter über ihre Grenzen hinausgehen: Christoph Strehl als Steuermann wie Irène Friedli als Marie, aber auch die beiden Protagonisten. Egils Silins als Holländer schien in seinem Monolog schon auf das kräftezehrende Finale zu schielen und sich noch zu schonen - und avancierte am Ende dann tatsächlich zur überragenden Figur: eine intakte, kraftvolle Stimme mit klarem Fokus, aber nicht gerade ein Wunder an Farbigkeit. Bei Eva Johannsson wechselten Licht und Schatten. Manche Phrasen sang sie mit berückender Delikatesse, andere wollten nicht zum Blühen kommen. Risiken ging sie viele ein, und oft wurden sie belohnt: auf jeden Fall eine packende Darstellung der Senta, die sich in ihrer Intensität und Expressivität sehr schön mit Dohnányis dramatischer Dichte mischte.