2004 - Odyssee im Opernraum

Alexander Dick, Nordbayerischer Kurier (10.12.2004)

Der fliegende Holländer, 04.12.2004, Zürich

David Pountney inszeniert Wagners "Fliegenden Holländer"

Senta muss ins Wasser. So will es der Dichterkomponist Richard Wagner, der seiner ersten großen Frauenfigur am Ende des "Fliegenden Holländers" einen Sturz ins Meer verordnet, auf dass die Liebende den zu ewigem Herumirren verdammten Titelhelden erlöse. Regisseur David Pountney hat diese szenische Anweisung schon damals, 1989, auf der Bregenzer Seebühne mit einem spektakulären Sturz von einem Leuchtturm in den Bodensee erfüllt. Auch 15 Jahre später, auf der Zürcher Opernbühne, findet sich Senta, diesmal mit dem Umherirrenden vereint, im Wasser wieder. Im virtuellen. Denn die beiden "schweben" hinter großen Leinwänden, auf die Wasserwogen projiziert werden.

Gesamtkonzept missfiel

Das klingt kitschig - und ist es auch. Wenngleich Pountney Wagners szenische Schlussanweisungen, denen zufolge die beiden Protagonisten "in verklärter Gestalt" dem Meer entsteigen, fast wörtlich umsetzt.
Was das Publikum in Zürichs Musentempel dazu sagt, zeigt es dem Bregenzer Festspielintendanten danach unverblümt: Buh. Vermutlich galten die Missfallenskundgebungen aber eher dem Gesamtkonzept. Wagners romantische Seefahrtsoper wieder einmal ohne Segelschiff . . .

Reise durch Raum und Zeit

Dabei hält Pountney es im Grunde auch hier mit Wagner. Nur wird des Holländers Irrfahrt auf den Meeren der Welt zur Odyssee im Weltraum, zur real-surrealen Reise durch Raum und Zeit. Und das ist durchaus packend und spannend gemacht - selten hatten Videoinstallationen auf der Opernbühne eine solch zwingende, über das Illustrative hinausgehende Funktion.
Zu verdanken ist das den beiden Londoner Künstlerinnen Jane und Louise Wilson, deren Videoinstallation "Star City" aus dem Guggenheimmuseum in Bilbao Pountneys Regiekonzept entscheidend prägte. Sie zeigt Aufnahmen aus dem in Auflösung begriffenen sowjetischen Raumfahrtzentrum, das in seiner Verlassenheit und technologischen Tristesse zur Metapher wird für Heimatlosigkeit und Entfremdung.

Den Kern getroffen

Womit Pountney genau den Kern von Wagners erstem großen Operndrama trifft. Im Kontrast dazu stehen Nahaufnahmen der Gesichter des Holländers und Sentas, fokussierte psychologische Studien zweier Seelenverwandter. In Robert Innes Hopkins' Bühne mit ihrer überzeugenden Lichtgestaltung (Jürgen Hoffmann) kennzeichnet Raum nicht einen Zustand, sondern dessen stetige Veränderung. Wer sich auf diese nicht so schwer zu dechiffrierende Bildsprache einlässt, kommt auf seine Kosten, zumal Pountneys Personenregie nicht auf die Wirkung der Bilder allein baut, sondern die Akteure in steten Dialog mit diesen treten lässt.

Militaristische Züge

Die reale Welt dagegen charakterisiert Pountney weniger originell, indem er deren Vertreter wie den immer auf geschäftlichen Vorteil bedachten Daland sowie dessen Seeleute militaristische Züge verleiht. Dass er die Seemanns- und Geisterchöre im III. Aufzug in einen brutalen Vergewaltigungsakt umdeutet, hinterlässt einen beklemmenden Eindruck, aber auch die Frage, ob eine solche Interpretation sich tatsächlich aus dem Inhalt ableitet.
Dennoch bleibt zu konstatieren, dass Pountney mit seiner mittlerweile dritten "Holländer"-Deutung bewegendes Theater gelungen ist, wohlgemerkt mit der und nicht gegen die Musik.
Christoph von Dohn|2anyi ist deren kundiger Anwalt am Pult des sich nach Anfangsschwierigkeiten in Festspielformat steigernden Opernorchesters: Seine Lesart der Partitur zeichnet sich durch eine äußerst differenzierte Auseinandersetzung mit dieser Oper in Balladenform aus; kein vorüber brausendes Dauer-Prestissimo, sondern ein in puncto Nuancierung der Tempi und Klangfarben ganz vielschichtig aufgebauter, dem Zuhörer ganz neue Seiten dieser Musik entdeckender "Holländer"-Abend.

Festspielbesetzung

Mit Festspielbesetzung: Egils Silins gestaltet die Titelpartie facettenreich, leidenschaftlich. Matti Salminen ist der Daland schlechthin, meisterlich von der Artikulation bis zur Tongebung. Eva Johansson gibt eine Senta, die der hochdramatischen Partie gerade ob der immer noch vorhandenen Jugendlichkeit ihres Soprans einerseits hoch gerecht wird, andererseits im Ansatz gerade bei den leiseren Tönen unsicher wirkt. Rudolf Schaschnigs, in der Höhe fein gedeckter, opulenter Erik, Christoph Strehls brillanter, sich für Bayreuth empfehlender Steuermann und Irène Friedlis Mary runden das hohe musikalische Niveau einer Produktion ab, in der auch der von Jürg Hämmerli einstudierte Chor (besonders bei den Herren) Marken setzt.
Gespielt wird übrigens die "Holländer"-Fassung mit dem weicher ausklingenden "Erlösungsschluss" - wozu wiederum das verklärende Schlussbild nicht schlecht passt. Kitsch hin oder her.