Grosse Oper um eine kIeine Story im Opernhaus

Hans Uli von Erlach, Tagblatt der Stadt Zürich (28.09.2004)

Stiffelio, 26.09.2004, Zürich

Die Geschichte vom Pastor Stiffelio hört sich an wie eine rührselige Familienstory aus dem romantischen 19. Jahrhundert. Seine Frau Lina wird von einem jungen Edelmann verführt. Die ganze Gemeinde weiss es, ausser Stiffelio selbst. Linas gestrenger Vater Graf Stankar sieht die Ehre seiner Familie so sehr besudelt, dass er sich umbringen will. Doch er besinnt sieh und fordert den Verführer zum Duell. Inzwischen kapiert auch Stiffelio den Ehebruch. Auch ein Gottesmann ist mir ein Mann: Er massregelt brutal die arme Lina, zieht nun selber das Schwert gegen seinen Widersacher. Da erinnert ihn sein Kollege Jorg ans Kreuz, und Stiffelio predigt zur Gemeinde über die Ehebrecherin, der Christus verzeiht. Lina wirft sich vor die Kanzel, Stiffelio verzeiht auch ihr.

Den Zwiespalt zwischen Gesetz und Ehre und persönlicher Schwäche und Leidenschaft haben andere schon besser beschrieben, als es dieses Libretto tut. Doch Verdi gelangen dazu aussergewöhnlich packende Szenen, die die kleine Geschichte zur kurzen, aber grossen Oper machen.

Prächtig leidende Arien und kraftvolle Auftritte

Für die Ensembles hat er schönsten Melodienreichtum erfunden. Prächtig leidende Arien hält er für Lina bereit, kraftvolle Auftritte für ihren Vater. Stiffelio bedachte er zwar mit weniger Schmelz, dennoch ist er die zentrale Figur: Hin und her gerissen zwischen dramatischer Eifersucht, gekränkter Liebe und Ehre und seinem Glauben. Die Produktion wartet mit prominenter Besetzung auf. Tenor José Cura zeigt als Stiffielio alle Nuancen zwischen pastoraler Verinnerlichung und temperamentvoller Männlichkeit nicht nur äusserlich ideal, sondern auch stimmlich. Leo Nucci ist ein eindringlicher Graf Stankar. Ein Ereignis, wie kraftvoll und präsent er für sein Alter die Stimme führt. Zwischen diesen Glanzlichtern hatte es Emily Magee als Lina an der Premiere schwer. Da fehlte es oft am gestalterischen Zurücknehmen, an Tiefe und manchmal an Luft. Auch Dirigent Stefano Ranzani liess beim Orchester einiges an Ungenauigkeiten durch, machte dies dafür mit Spontaneität wett. Cesare Lievis Regie glaubt an die innere Grösse der an sich kleinen Story, inszeniert sie als dunkle, grosse Oper. So ist dieses in Zürich erstmals gezeigte Verdi-Werk mehr als Repertoirepflege, sondern eine entdeckenswerte Rarität.