Regie? Kaum der Rede wert

Reinmar Wagner, Zürichsee-Zeitung (28.09.2004)

Stiffelio, 26.09.2004, Zürich

Zürich: Verdis «Stiffelio» am Opernhaus

Gleichzeitig wie «Rigoletto» komponierte Verdi «Stiffelio» - die eine Oper wurde eines seiner populärsten Werke, die andere blieb fast vergessen - trotz einiger bemerkenswerter Details zu Recht, wie eine Aufführung am Zürcher Opernhaus zeigte.

Eine Verdi-Oper mit bloss zwei grossen Szenen - eine für den Sopran, eine für den Bariton, und keine für den Tenor und Titelhelden Stiffelio. Gut, Otello hat auch keine eigentliche Arie, und wenn Stiffelio auch nicht mit dem Mohren auf Zypern zu vergleichen ist, so wäre die Figur an sich spannend und in ihrer Doppelgesichtigkeit und in ihrem inneren Konfliktpotenzial vielversprechend. Allein, Verdi hatte keine glückliche Hand mit dem Prediger Stiffelio. Knapp und mit vielen Brüchen vollzieht sich die Handlung, die auf ein französisches Bühnenstück und ein Libretto von Piave zurückgeht: Ein Sektenführer hat einst auf der Flucht bei Stankar Zuflucht gefunden und baute eine Gemeinde und ein Haus mit der Tochter seines Beschützers. Sie betrügt ihn, er - zerrissen zwischen persönlicher Rache durch seine befleckte Ehre und seiner Vorbildfunktion als Pastor, zerrissen durch seinen Konflikt zwischen Körper und Kreuz - schafft es nicht, Ordnung und Vergebung und Geborgenheit herzustellen. Einem herbeigezwungenen Happy End ist kaum zu trauen, umso mehr als es durch einen Mord ermöglicht wurde, allein das allles findet kaum Resonanz in Verdis Partitur. Wie ein Fragment liegt sie vor uns, an allen Ecken und Enden erwartet man Ergänzungen und Erklärungen, Momente des Innehaltens für grosse Arien. Aber die Gelegenheiten streichen ungenutzt vorbei. Einzige Erklärung: Verdi hat sein Interesse an dem Sujet während der Arbeit verloren, hat sich der Pflicht zur Vollendung entledigt - auch die Ouvertüre klingt wie ein schnell gemachtes Patchwork - und danach «Rigoletto» und seine nächsten Werke ins Auge gefasst.

Besonderheiten

Wenn auch dieses Urteil einfach ist - und von der Rezeptionsgeschichte untermauert wird (welche Verdi-Oper ist denn in Zürich bisher noch nie auf der Bühne gestanden?), so ist «Stiffelio» doch interessant als Markstein auf dem Weg Verdis vom Dutzendschreiber zum Opernmeister. Dass er die Titelfigur so unkonventionell arienlos und eingebunden ins dramatische Geschehen entwirft, entspricht keineswegs damaliger Usanz, sondern, zeigt den Willen, von den Schematismen der Oper wegzukommen.

Und aufhorchen lässt seine Orchestrierung: Da überraschen verblüffende Farben und fast exotisch anmutende Pizzicato-Kombinationen, da bezaubern Duette von Soloinstrumenten und Gesang. Und auch etwa die grosse Szene des Baritons eröffnet dramaturgische und musikalische Besonderheiten, die vorausweisen auf kommende Meisterstücke,

Wenn die Erkenntnisse soweit gediehen sind, und das sollten sie so etwa nach einer Woche Probezeit spätestens sein, dann setzt normalerweise die Überlegung ein, wie man denn Interessantes herausarbeiten und Unvollendetes und Unvollkommenes am besten ergänzen könnte. Allein, in dieser Zürcher Produktion hat - bis auf eine Ausnahme - niemand wirklich funktionierende Lösungen für diese Herausforderungen gefunden - und wohl auch nicht gesucht.

Mit Leben gefüllt

Die Ausnahme? Sie heisst José Cura. Der argentinische Tenor war der Einzige, der seine Figur wirklich mit Leben füllte, der es fertigbrachte, Intensität und Glaubwürdigkeit zu schaffen und einen wirklichen Menschen in wirklichen Konflikten zu zeigen. Manche Gesten wirkten plakativ, deswegen aber nicht unglaubwürdig, in manchen Mitteln des sängerischen Gestaltens neigte Cura zum übertreiben - dynamisch zum Beispiel oder mit dem Einsatz seiner nasalen Klangfarben -, aber in der Tat gestaltete er seine Partie im Sinn dieses Wortes und brauchte sich dabei nicht durch sängerische Limiten einzuschränken. Emily Magee - was die sängerische Seite ihrer Aufgabe betraf - stand ihrem Partner nur wenig nach: Dramatik in den Koloraturen, dynamische Schattierungen, Intensität in den exponierten Tönen. Szenisch jedoch blieb sie in stereotypen Operngesten gefangen, vom Regisseur Cesare Lievi wie alle anderen im Stich gelassen. Bei Leo Nucci staunt man immer wieder, wie er in seinem Alter über eine nach wie vor potente und strahlkräftige Stimme verfügt. Dass er nichts Differenzierteres draus macht, hat wohl nichts mit seinem Alter zu tun. Und wenn man ihm weiterhin derart zujubelt wie das Zürcher Premierenpublikum, dann wird er das nächste Mal noch lauter brülIen und sich freuen über das «nördlichste Opernhaus Italiens».

Blindlings

Vielleicht war auch italienisch, was Stefano Ranzani am Pult vollfühhrte: Hauptsache die Melodie fliesst schön. Dass es auch einen Grundpuls geben könnte, dass rhyhthmische Energie möglicherweise ein Element von Dramatik abgeben könnte, dass man auch einem José Cura nicht einfach blindlings in seine agogischen Eskapaden folgen muss, sondern vielleicht solche Unregelmässigkeiten auch als Spannungen betrachten könnte, solches scheint Ranzani fremd zu sein. Umgekehrt schaffte er es ohnehin kaum, Bühne und Orchester zusammenzuhalten in den heiklen Momenten - davon gibt es viele, und Verdi ist offenbar deswegen auch wieder von seinen exponierten Solobläser-Sänger-Paarungen nach dieser Erfahrung etwas weggekommen.

Gnädig im Dunkeln

Cesare Lievis Regiearbeit ist - nicht zum ersten Mal - kaum der Rede wert. Wer nicht, wie Curà, selbst Hand an seine Partie legte, brauchte sich nicht viel mehr als das Links oder Rechts seines Auftritts zu merken. Der Chor blieb gnädigerweise meist im Dunkeln - und klang auch Männer-seitig seltsam dünn. Die Figuren wurden kaum fassbar wie etwa der Liebhaber Raffaele (Reinaldo Macias) oder blieben Stereotypen wie der Vater (Leo Nucci), der sich auch durch grosse Musik nicht von seiner Militärmützen-Logik ablenken lässt. Nicht einmal mit dem durchaus bedauernswerten Sopran leiden wir so richtig mit. Bis auf eine diffuse Atmosphäre von deutsch-nordischer Düsternis wurden weder die innere noch äussere Welt dieses Stücks fassbar. Die Bühn von Csaba Antal verband monumentale Tempelassoziationen mit aufbauerischer Aufbruchsstimmung, neckisch illustriert durch StahIstreben, Betonmischer und Baggerschaufel. Und die Kostümbildnerin Marina Luxardo schneiderte das beste Stück für sich selbst. Zum Schlussapplaus, der nur durch wenige Buhs ausgezeichnet wurde.