Oper, Liebeskarussell und Walzertakt

Herbert Büttiker, Der Landbote (06.09.2004)

Der Opernball, 03.09.2004, Winterthur

Reizvolle Musik, pointierte Dialoge, amüsantes Treiben: Das Opernhaus Zürich entreisst Heubergers «Opernball» dem Vergessen und rückt ihn im Theater Winterthur zur Saisoneröffnung ins rechte Licht.

«Gehen wir ins Chambre Séparée ...»: der Aufforderung folgt im «Opernball» sozusagen das gesamte Bühnenpersonal – vier Paare in verquerer Paarung. Es muss eine Devise sein, die überhaupt vielfür sich hat: Nach der Uraufführung in Wien von 1896 wurde die Melodie zum Schlager, die Operette zum ganz grossen internationalen Erfolg für den Komponisten Richard Heuberger (1850–1914). Aber wenn es auch heute so scheint, einzig um den «Opernball» zu schreiben, ist dieser nicht auf die Welt gekommen. Sein Schaffen bediente alle Gattungen von der Kammermusik bis zur Oper, und darüber hinaus war er ein geachteter Chorleiter und Dirigent, Schubert-Biograf und Hanslicks Nachfolger als Musikkritiker – alles in allem eine herausragende Persönlichkeit im Musikleben Wiens um die Jahrhundertwende. Geblieben ist von diesem vielfältigen Wirken einzig die erste seiner sechs Operetten. Aber auch dem «Opernball» mit seinem Hymnus auf das ominöse Séparée konnte man hier zu Lande schon lange nicht mehr begegnen, im Opernhaus Zürich nicht mehr seit fast vierzig Jahren. Eine Wiederentdeckung also und eine der gewiss lohnenden Art also, die das Opernhaus nun im Theater Winterthur präsentiert.

Letztes Gold

Hier knüpft «Der Opernball» an das «Wiener Blut» zur Saisoneröffnung vor zwei Jahren an. Die Strauss’sche Verbindung von Liebeskarussell und Walzertakt prägt auch diese letzte Operette der so genannten «Goldenen Ära». In mancher Beziehung scheint hier noch einmal vor allem auch die «Fledermaus» in den Typen und Handlungsmustern durch, und dass die Goldene Ära noch immer eine Art Wiener Klassik war, macht die Mozartnähe einzelner Figuren und Szenen (Billetdoux-Terzett der Frauen) deutlich. Aber ebenso hören wir den Hochglanz der Belle Epoque, wenn im Walzer zur Eröffnung des Ballaktes die Harfen glitzern.
Der titelgebende Opernball steht wie das Fest des Prinzen Orlowsky als Schlachtfeld der (Möchtegern-)Lebemänner im Zentrum des Dreiakters, und deren Wahlspruch «Man lebt nur einmal in der Welt, je toller, desto lieber!» versucht sich hier wie dort in der Turbulenz der Ballmusik zu erfüllen. Mit Unterschieden: Heuberger verzichtet auf den Chor, und entsprechend bleibt der kollektive Rausch aus, und das Spiel ist sozusagen kammermusikalisch in viele Einzelstimmen auseinander dividiert.

Drei Tenöre

Nicht wenige als drei Ehemänner-Tenöre wandeln hier vermeintlich souverän auf dem Pfad der Untugend und wissen nicht, dass sie nur von ihren Ehefrauen an der Nase herumgeführt werden. Dass diese die Kontrolle über die Versuchsanordnung verlieren, da die Kammerzofe ebenfalls in einem rosaroten Domino zum Ball erscheint, ist dann wieder eine Sache für sich ... Jedenfalls bewirkt die Vervielfältigung der Figuren manche Parallelaktion, aber gerade die musikalischen und textlichen Wiederholungen sind als dramaturgisches Prinzip immer wieder von heiterer Wirkung: eine souveräne Ironisierung der Komödienmechanik.
Aber selbst unter der Voraussetzung, dass alle immer nur das eine wollen: für Kontrast unter den Figuren ist gesorgt, und die Aufführung berücksichtigt das mit glücklicher Rollenbesetzung. Von den drei Tenören gibt Daniel Kirch mit einigem Pep, aber auch Druck Georges Duménil, den Routinier der Eskapaden. Deon van der Walt spielt mit solidem Pantoffelheldentenor Paul Aubier, den sozusagen dem jungen Eheglück knapp entwachsenen Anfänger, und Waldemar Kmentt verkörpert als alter Hase und mit dem alten Glanz seiner Stimme Beaubuisson, den in Eh (r)e Ergrauten. Nun entkommt er dem wachsamen Auge der strengen Gemahlin doch einmal, aber nur um festzustellen, dass er sich alles doch ganz anders vorgestellt hat.
Gespielt wird diese Gemahlin von Renate Steiger, die rollengemäss vor allem mit keifender Prosa auffällt. Mit schönem Sopran fällt dagegen Christiane Kohl als Marguerite Duménil auf, die sich keine Illusionen über die Männer mehr macht, und mit grosser Stimme rückt Noëmi Nadelmann Angèle Aubier in den Mittelpunkt, die ihre Illusionen am Opernball verliert. Ein wenig auch diejenigen von sich selbst: Angèle ist die Partie der Solonummern und durchaus ein schillerndes Wesen, und das führt Noëmi Nadelmann als Darstellerin mit starkem Bühnentemperament dazu, die Farben zwischen sanft und rabiat, treuherzig und raffiniert in Stimme und Spiel ausladender zu wechseln, als für die Glaubwürdigkeit der Figur ideal ist.

Erotik, Ehe und Geschäft

Mit ihrem klar fokussierten Sopran – eine Stimme, die aufhorchen lässt – und mit vifem Spiel macht Eva Liebau deutlich, dass die Kammerzofe Hortense die kernigste Figur im Stück ist, patent in vielen Duett-Lagen. Ihr zur Seite macht Katharina Peez mit vollem Mezzosopran gute Figur als der junge Henri, der gewiss kein unwürdiger Nachkomme Cherubinos ist. So problematisch beziehungsweise eben komisch sich die Erotik bei denen gestaltet, die es mit Eheverhältnissen und -hindernissen zu tun haben, so fröhlich nimmt sie ihren Lauf bei diesen zwei. Es verwundert deshalb nicht, dass sie es sind, die sich und uns mit dem berühmten süssen «Rendezvous-Duettino» betören, und dass bei ihnen das Chambre Séparée seinen Zweck erfüllt – und zwar billig, weil da wenig soupiert wird. Das wiederum bedeutet eine Grenzerfahrung für den Oberkellner und Logenverwalter Philippe, als der Herbert Prikopa mit kolossaler Statur und ebensolchem Überblick über das intime Wechselspiel von Erotik und Geschäft magistral schaltet und waltet.
Was die Erfahrung, die dem Stück zu Grunde liegt, überhaupt betrifft, so liegt sie in der Erkenntnis Marguerites, dass die Gattung Ehemänner nur in zwei Kategorien zerfalle: in solche, die sich erwischen lassen, und die, die sich nicht erwischen lassen. Oder wir können uns an das halten, was Helmut Lohner zum Libretto hinzugedichtet hat (ein Männer-Terzett aus «Das Baby» mit neuem Text reichert den musikalisch dünnen dritten Akt an): Die Welt ist in Ordnung, solang Männer noch Männer sind.

Vorstadt und Belle Epoque

Wichtiger aber ist die Erkenntnis, dass ein solches Stück von den Rollen lebt, und dafür ist – Nestroy lässt ja des Öfteren grüssen – Helmut Lohner als Regisseur ein Mann vom Fach. Seine Inszenierung hält sich an die Vorstadt, und mit Lizenzen zum Chargieren ist er grosszügig. Aber er erliegt nicht der Versuchung, zu viel «Oper» zu machen (zu wenig ist es allenfalls in der choreografischen Organisation des Ballaktes). William Orlandis Ausstattung zitiert in Kostüm und Dekoration mit leichter Hand die Belle Epoque, und das effektvolle Opernfoyer verdient den Szenenapplaus, den ihm das Premierenpublikum gespendet hat.
Am Amüsement, das im Gesamtverlauf durchaus auch einige Schwankungen ertrug, hatte das Orchester des Musikkollegiums entscheidenden Anteil. Auch wenn es über lange Dialogszenen hin zu schweigen hatte: es ist reich gefordert und bestimmt das musikalische Geschehen mit effektvoller Rhythmik, geschmeidiger Walzermelodik und einer mit Bläsernstimmen differenziert ausgearbeiteten Begleitung. An einer gewissen Sprödigkeit mochte die Akustik des Theaters ihren Anteil haben, aber Theodor Guschlbauer animierte das Ensemble im Graben und auf der Bühnen zu gut koordiniertem und prägnantem Spiel: Im Ohr bleibt nicht nur «Gehen wir ...».