Stilsicherer Balzgesang im notorischen Chambre séparée

Michael Eidenbenz, Tages-Anzeiger (06.09.2004)

Der Opernball, 03.09.2004, Winterthur

Etwas für Operettenliebhaber: die Saisoneröffnung des Zürcher Opernhauses mit Richard Heubergers «Der Opernball».

Für Richard Heuberger ist es ein hartes postumes Schicksal. Da hatte der Mann ein Leben lang seriöse Chorwerke und Sinfonien komponiert, ist an diversen Opern gescheitert und als Musikkritiker respektiert worden, und dann bleibt der Nachwelt von ihm nichts als seine Operette im Gedächtnis. Für die Nachwelt selber ist es weniger tragisch. «Der Opernball» genügt durchaus als Vermächtnis Heubergers, der statt als Wagner- oder Brahms- nun eben als Johann-Strauss-Epigone in die Geschichte eingegangen ist.

Das Opernhaus Zürich hat sich zur traditionellen Saisoneröffnung im Theater Winterthur also einen lockeren Stoff vorgenommen, in dem es um den üblichen champagnertrunkenen Ballabend samt Katermorgen und um die Frage geht, wer eigentlich gestern genau mit wem im notorischen Chambre séparée verschwunden war. Das Personal dazu ist gattungstypisch vollständig versammelt. Es gibt das vermeintlich treue und das vermeintlich in «moderner Ehe» lebende Pärchen; den Alten, der sich nach dreissig anstrengenden Ehejahren auch mal einen Jux machen will (Kammersänger Waldemar Kmentt chargiert stilsicher) und dabei von Liuba Chuchrova als Animiergirl Féodora gehörig ausgenommen wird, sowie den Ehedrachen, dem Renate Steiger gebührend keifendes Profil schenkt. Natürlich gibts das frivole Dienstmädchen der temperamentvollen Eva Liebau in gegenseitiger Verführungsabsicht mit dem Marinekadetten Henri (Katharina Peetz liefert die Hosenrollen-Jungmännerparodie souverän ab) und den mit allen Wassern gewaschenen, Herbert Prikopa auf den Leib geschnittenen Oberkellner, dem Diskretion alles ist, solange das Trinkgeld stimmt.

Zürich-Wien-Connection

Das Libretto knittelt derweil vor sich hin - «wo, wo, wo ist der rosa Domino?» oder «dieser Hummer macht mir Kummer» - und Helmuth Lohner sorgt mit sicherer Regiehand und mit der profunden Kenntnis jahrzehntelanger Komödienerfahrung dafür, dass das Ganze abschnurrt wie am Schnürl. Nicht alles ist gleich lustig, manchmal erschlagen Altherrenwitzchen die ohnehin aufgedrehte Atmosphäre, und etliche Pointen riecht man schon um Meter gegen den parfümierten Wind voraus. Auch dies gehört zum Stil, den vernünftigerweise weder Lohners Inszenierung noch William Orlandis Ausstattung mit Fin-de-Siècle-Salon, Foyertreppen im Ballraum und zeitgemässen Kostümen je in Frage stellen.

Die Zürich-Wien-Connection spielt also einmal mehr. Denn auch dem Dirigenten Theodor Guschlbauer ist der Stil offenkundig vertraut. Dass Heubergers musikalische Ambitionen über die schlichte Nummernoperette hinaus auch kompliziertere Ensembles, gekonnt instrumentierte Begleitungen und mit der zitierenden Wiederaufnahme von Melodieerinnerungen gar im eigentlichen Sinn musikdramatische Techniken umfasst, nehmen Guschlbauer und das Orchester Musikkollegium Winterthur als gelegentliche Herausforderung an.

Schliesslich gibts ausser dem Wunschkonzert-Evergreen «Gehn wir ins Chambre séparée» noch einiges Hübsches zu singen. Eine prächtige Heul-Arie beispielsweise für Noëmi Nadelmann, die ihre Bühnenpräsenz als keusche Angèle an der Seite des imposant komödiantischen Deon van der Walt als Gatte Paul ausspielen kann. Und Daniel Kirch und Christiane Kohl geben glaubhaft jene «moderne Ehe» vor, die dem Publikum ein bisschen Seitensprungfrivolität schenkt, ohne dass die Operettenbiederkeit ernsthaft gefährdet wäre: Reue und Versöhnung folgen auf dem Fuss, die Welt bleibt in Ordnung.