Klassische Operette, leider von vorgestern

Tobias Gerosa, Zürcher Oberländer (06.09.2004)

Der Opernball, 03.09.2004, Winterthur

Im Theater Winterthur feierte am Freitag fast traditionsgemäss die erste Opernhaus-Produktion der Saison Premiere

Es ist bereits etwas wie eine Tradition: Die Saison der grossen Schweizer Theater beginnt mit einer Opernhaus-Produktion im Theater Winterthur. Dem Publikum ausserhalb Zürichs traut man dabei ebenso traditionell wenig Interesse an zeitgemässem Theater zu. Richard Heubergers Operette «Der Opernball» von 1898 könnte klassischer, altmodischer kaum inszeniert sein. Regisseur Helmut Lohner setzt auf harmlose Unterhaltung und Texttreue.

Sündenmetropole Paris

Operette ist per se Klischee, auch im «Opernball»: Das biedere Provinzehepaar kommt in die Sündenmetropole Paris und findet dort, was es insgeheim zu finden hoffte: Frivole Zofen, keifende Alte und gefährliche Affären. Wer am Schluss halbwegs gut dasteht, ist das niedere Paar, das die Hierarchie für einen einzelnen Abend des Rausches ausser Kraft setzen konnte und die (lustvolle) Bigotterie aufdeckt. Das könnte man anarchisch frech ausspielen. Könnte, denn trotz der frischen Eva Liebau als Zofe Hortense und Katharina Peetz als draufgängerischem Henri bleibt die Inszenierung brav und überhaupt nicht aufrührerisch.

Solide, aber nicht mehr

Denn die Wiener Schauspiellegende Helmut Lohner als Regisseur erhebt nicht den Anspruch, mehr als ganz direkt den Text zu inszenieren und sich dabei auch nicht zu sehr auf die Stimmungen der Musik einzulassen. Das Ergebnis ist solide, streckenweise witzig und manchmal, wie in den langen Dialogpassagen des zweiten Aktes, auch eher zäh und absehbar.

Eine ganze Menge Séparées

Wie auch die Ausstattung von William Orlandi. Er setzt für den Salon des ersten und dritten Aktes auf Trompe-l'oeuil-Pracht und für den zweiten auf eine doppelte geschwungene Showtreppe in Rot und Gold mit einer ganzen Menge Séparéetüren, aufgefüllt mit einer Menge Statisten in Ballverkleidung und Herbert Prikopa als schmierigem Oberkellner, über dessen Humor man geteilter Meinung sein kann.

Eine Wiener Legende

Wäre da nicht eine dritte Wiener Legende, die Sängerinnen und Sänger blieben alle in ihren schematischen Rollen gefangen. Als Rentier Beaubuisson bringt Waldemar Kmentt auch nach über 50 Jahren auf der Bühne noch soviel Stilsicherheit und Würde auch im Komischen auf die Bühne, dass sich andere ein Stück davon abschneiden könnten. Etwa die beiden Ehemänner, die sich beim Opernball nur zu gerne von ihren verkleideten Gattinnen übers Kreuz verführen lassen. Daniel Kirch (Georges) und Deon van der Walt (Paul) bekommen wenig Gelegenheit, ihre Tenöre vorzuführen, nutzen diese aber zu manchem Schluchzer.

Ihren beiden Frauen stellen die angezweifelte Treue ihrer Gatten mit einer Wette auf die Probe (Mozarts «Cosi fan tutte» lässt grüssen). Christiane Kohl nimmt man die überlegen lässige Marguerite dabei mehr ab als der edel phrasierenden Noëmi Nadelmann die aufgesetzt naive Angèle mit ihren exaltierten Weinkrämpfen.

Zwischentöne fehlen

Dass die Partitur sich manchmal über die Schemen der Operettenkonvention wegsetzt und in Instrumentierung und Stimmungszeichnung einen durchaus eigenen, reizvollen Ton findet, wird bei Theodor Guschlbauer und dem Orchester Musikkollegium Winterthur bei allem Schmäh nur zum Teil hörbar. Rhythmisch federnd und mit trockenen Attacken fegen sie durch die fast drei Stunden. Leise wird's kaum je, und Zwischentöne muss man sich selber vorstellen.

Man bekam allerdings auch den Eindruck, dass die Produktion noch die eine oder andere Probe brauchen könnte, bis alle Abläufe ganz stimmen. Wenn sie ab Mitte September dann im Opernhaus gezeigt wird, dürften dann auch sie sitzen.