Die Basis legte der Dirigent

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (06.07.2004)

Der Rosenkavalier, 04.07.2004, Zürich

Im Rahmen der Zürcher Festspiele wird im Opernhaus Richard Strauss' «Rosenkavalier» aufgeführt

Die Neuproduktion von Richard Strauss' «Rosenkavalier» am Opernhaus Zürich glänzte nicht nur mit einer intelligenten Regie, sondern vor allem mit einer grandiosen Besetzung.

Ausgerechnet eine Küche, die eher an eine Konservenfabrik erinnert, repräsentiert die Faninals. Und hier wird - quel affront! - auch die silberne Rose als traditionelles Symbol der Brautwerbung überreicht. Für die Lebensumgebung der Marschallin dagegen wählten Regisseur Sven-Eric Bechtolf und der Bühnenbildner Rolf Glittenberg einen hohen, kalten Raum und den winterlichen Tod der Natur in Form von blattlosen Bäumen und ausgestopften Vögeln. Unerklärlicherweise spielt auch der letzte Akt - mit einer turbulenten, schrägen Geisterbahn - in den Gemächern der Marschallin.

Der Komödie Raum gelassen

Nicht alles versteht man wirklich an dieser Inszenierung und an diesem Bühnenbild. Manches wirkt zwar originell und amüsant oder auch atmosphärisch oder einfach schlicht schön und nimmt bei allen neuen Ideen durchaus viele Elemente einer traditionellen Inszenierung dieses anspruchsvollen Stücks auf und lässt der Komödie ihren Raum. Aber so richtig wichtig wird das alles nicht für die Inszenierung, sprich für das Verständnis der Hauptfiguren.

Was die Protagonisten bewegt, wie sie zueinander stehen, wie sich Octavians Gefühle entwickeln, das erfahren wir durch einfache, rein schauspielerische Mittel - und durch die Musik. Zentrale Momente, etwa die Begegnung Sophies mit Octavian oder das Terzett am Ende, überlässt Bechtolf sogar einfach sich selbst, hält quasi die Zeit an (wenn doch die Marschallin das könnte!) und erzählt in diesen Augenblicken des angehaltenen Atems ganze Liebesgeschichten.

Oder besser: Er gibt Raum, damit sie erzählt werden können. Denn was uns anrührt und bewegt, ist schon da - von Hugo von Hofmansthal gedichtet, von Richard Strauss kongenial in Musik gesetzt - und wird von Musikern zum Leben erweckt, die nicht nur diese Freiräume zu nutzen wissen, sondern all ihre reichen Fähigkeiten einzusetzen wissen, um bis zum Boden einzudringen in die Innenwelten dieser Figuren. Nur so ist es möglich, in diesem überaus schwierigen Stück eine Intensität zu erreichen, die nicht auf oberflächlichen Reizen basiert.

Wach und agil gespielt

Die Basis zu dieser durchdringend-tiefen musikalischen Auseinandersetzung legt Dirigent Franz Welser-Möst mit seiner überaus wachen, kammermusikalisch-detaillierten Interpretation. Man kennt seine Ästhetik von seinen Wagner-Dirigaten her - und doch überrascht es immer wieder, wie er aus vermeintlich bestbekannten Partituren Motive, Farben, Nuancen der Instrumentierung herausholt, die sonst immer überspielt werden. Wir wissen ja, dass Strauss ein genialer Instrumentierer war, aber bei Welser-Möst - und dem wach und agil spielenden Zürcher Opernorchester - erfahren und erleben wir das auch. Und was für den Detailreichtum insgesamt gilt, hat hier in besonderem Mass Wichtigkeit für die dynamischen Feinheiten.

Und dies trotz einem Protagonistenquartett, bei dem sich der Dirigent keineswegs hätte zurückzuhalten brauchen, denn Malin Hartelius, Alfred Muff, Nina Stemme und Vesselina Kasarova sind nun keineswegs Sänger, denen es gleich angst und bange wird, wenn das Strauss-Orchester einmal so richtig seine Krallen zeigt. Aber Welser-Mösts konsequentes Zurückfahren der Dynamik nach diesen Ausbrüchen hatte nicht nur den dramatisierenden Effekt, dass diese Momente intensiver und mitreissender wurden, sondern gab den Sängern dazwischen auch allen Raum, sich auszudrücken und die Zwischentöne ihrer Partien auszuloten. So konnte zum Beispiel Nina Stemme - eine der heute mächtigsten Sopranstimmen weltweit - eine Marschalllin geben, die ungwohnt schattiert und nachdenklich klingen konnte und dennoch stets präsent - und meistens sogar textverständlich war. Bei Malin Hartelius überzeugte vor allem ihre glockenreine Höhe, mit der sie berückend schön über den Ensembles und dem Orchester schwebte.

Alfred Muff war - nicht zum ersten Mal - als Strauss'scher Erzkomödiant der Extraklasse zu bewundern, der bei allem bärbeissigen Klamauk nicht den Charme der schönen Töne vergass. Und Vesselina Kasarova, die zum ersten Mal die Partie des Octavian sang, bezauberte mit ihrer Vielseitigkeit und mit ihrem intelligenten Gestalten, das jeder Phrase - ob absichtlich übertriebenem Chargieren als Mariandel oder echte Gefühlstiefe eines liebesverwirrten 17-Jährigen - gerecht wurde.

Eine kleine Ohnmacht

Die vielen - teils horrend schwierigen - Nebenrollen wurden aus dem Ensemble und dem Opernstudio besetzt und dies durchwegs mit hervorragendem Resultat, wie vor allem Brigitte Pinter als Annina und Boiko Zvetanov als italienischer Sänger bewiesen, der bulgarische Tenor zudem in einem der besten Regie-Einfälle als chinoiserien-seliger Schach- und Sing-Automat, der sogar der Marschallin eine kleine Ohnmacht entlockte.