Ins Lächeln verliebt

Elisabeth Schwind, Süddeutsche Zeitung (15.07.2004)

Der Rosenkavalier, 04.07.2004, Zürich

Im Programmbuch zum Zürcher "Rosenkavalier" findet sich eine höchst interessante Analyse der Musikwissenschaftlerin Ruth E. Müller, welche die von Hofmannsthal ausgeheckte Figurenkonstellation untersucht. Nach der Lektüre ahnt man, dass der Dichter statt eines personellen Großaufgebots eigentlich nur eine einzige Figur für sein Libretto entworfen hat, zumindest was die Namensgebung betrifft.

Nicht nur, dass Octavian und Ochs die gleichen Anfangsbuchstaben haben, als Mariandel trägt Octavian denselben Namen wie Sophies Zofe Marianne, in dem wiederum Maria und Anna stecken und somit die Marschallin selbst, aber auch die Intrigantin Annina. Und die Vokale des Namens Maria erscheinen auch bei Octavian. Alles also, schließt die Autorin, scheint aus einem Kern heraus gebildet und variiert.

Behält man diesen Gedanken auch in Zürich im Blick, so entdeckt man weitere aufschlussreiche Verknüpfungen. Dass die Anfangsbuchstaben, diesmal des Nachnamens, der Marschallin Fürstin Werdenberg mit der des Dirigenten Franz Welser-Möst übereinstimmen, mag dabei noch dem Zufall geschuldet sein. Doch hatte der Dirigent in Zürich nicht schon mit Richard Strauss" "Rosenkavalier" debütiert? Darüber hinaus stammt er aus Linz und damit aus Österreich, wie das gesamte Personal des "Rosenkavaliers".

Und liegt in Österreich nicht auch jenes Salzburg der Festspiele, für deren Leitung sich Welser-Möst bereits durch einen Vorschlag zur Verknappung empfohlen hat? Jene Festspiele übrigens, die einst - und damit schließt sich der Kreis - von Strauss und Hofmannsthal mitbegründet worden sind. Ob sich damit in Salzburg ebenfalls alles aus einem Kern heraus bildet und variiert, wird sich zeigen. Was die einstweilen beurteilbaren Fakten betrifft, lässt sich immerhin festhalten, dass Welser-Möst den Zürcher ¸¸Rosenkavalier" ebenfalls aus einem Salzburger Geist entwickelt hat, nämlich dem Mozarts - keineswegs zum Nachteil der Musik.

Hübsche Pointen

Richard Strauss selbst hatte ja den Mozart"schen Geist beschworen, der ihm bereits bei der Lektüre von Hofmannsthals Text in die Nase gestiegen war. Franz Welser-Möst hat nun daran erinnert - ebenso wie an Strauss" Wort, er sei sich trotz all des Mozarts dennoch treu geblieben. Die Tempi sind frisch, die Dynamik ist kontrastreich gestaltet. In der intimen Szene, in der die Marschallin über das Altern nachgrübelt, hat er das Kammermusikalische so konsequent herausgearbeitet, dass sie tatsächlich nach Mozart gleichsam zu duften beginnt.

Allerdings birgt die Frischzellenkur auch einige Gefahren in sich, denen das Orchester der Oper Zürich nicht immer entkommt. Schon der eröffnende Aufschwung der Hörner ist so zügig genommen, dass selbst der stürmische Liebhaber ins Straucheln gerät. Und auch in den kammermusikalisch zurückgenommenen Passagen ist leider zu oft zu hören, dass im Orchester nicht alles rund läuft.

Die Regiearbeit von Sven-Eric Bechtolf zeichnet sich vor allem durch Detailgenauigkeit aus. Den Text ernst zu nehmen - sowohl Hofmannsthals als auch den von Richard Strauss - und mit dem Bühnengeschehen in schlüssige Übereinstimmung zu bringen, war offenbar sein erstes Anliegen. Immer wieder entdeckt er dabei wirklich hübsche Pointen. Und man spürt, dass Regisseur, Dirigent und die Ausstatter Rolf und Marianne Glittenberg dafür eng zusammengearbeitet haben.

Kein spektakulärer ¸¸Rosenkavalier" ist daraus geworden, keiner, der die Liebhaber vor den Kopf stößt, aber auch keiner, der sich der eingefahrenen Aufführungstradition sklavisch unterwerfen würde. Bühne und Kostüme nehmen zwar Rokoko-Elemente auf, aber eher als Versatzstücke, die im Sinne der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen mit detailverliebt Pittoreskem ebenso wie mit einer heute bevorzugten hellen und kühl temperierten Ästhetik kombiniert werden.

Auf psychologische Schlüssigkeit hin sind auch die Figuren angelegt. Nina Stemme bietet eine großherzig menschliche Marschallin, die ihr Profil besonders aus den nachdenklichen Passagen bezieht. Vesselina Kasarova als Octavian wusste ihr maskulines Timbre in der Tiefe gewinnbringend auszuspielen und fand sicht- und hörbaren Gefallen an der Rolle als ungebildete Kammerzofe. Und doch meinte man den Erwartungsdruck zu spüren, der auf ihrem Rollendebüt lag und ihm ein wenig an Natürlichkeit nahm. Malin Hartelius als Sophie muss - auch stimmlich - nicht das naive Dummchen spielen, sondern darf aus ihrer anfänglichen Unbefangenheit heraus reifen.

Alfred Muff mit einer enormen, dynamisch aber etwas undifferenzierten Basspräsenz überzeugt als Baron Ochs insbesondere dadurch, dass er ihn statt überzogen derb lieber in einer Selbstgefälligkeit zeigt, die ihre Tücke gerade darin offenbart, dass sie sich in einem gesellschaftlich akzeptierten Rahmen bewegt. In einem Brief an Richard Strauss hatte Hugo von Hofmannsthal umrissen, wie er sich das Komödiantische im "Rosenkavalier" dachte, nämlich weniger im Sinne des drastischen Operettengenres als im Hinblick auf die "Meistersinger" oder den "Figaro".

Dort nämlich gebe es nicht unbedingt etwas zu Lachen, aber viel zum Lächeln. Genau das ist in Zürich gelungen.