Glanzvolle «Ariadne» im Zürcher Opernhaus

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (18.12.2006)

Ariadne auf Naxos, 16.12.2006, Zürich

Christoph von Dohnányi und Claus Guth haben «Ariadne auf Naxos» von Richard Strauss am Samstag in Zürich zum heftig bejubelten Opernereignis gemacht.

Eine einsame wüste Insel soll es laut Textbuch sein, wo Ariadne ausgesetzt und verlassen auf nichts anderes wartet als den Tod. Der Bühnenbildner Christian Schmidt fand für diesen unwirtlichen Ort eine wunderschöne Chiffre: die Zürcher In-Beiz «Kronenhalle» - und erhielt dafür Szenenapplaus, obwohl der allergrösste Teil des Premierenpublikums inklusive Intendant Pereira mit Sicherheit zu den regelmässigen Gästen dort zählt.

Existenzen statt Stereotypen

Aber ein Bühnenbild allein macht noch längst keine stimmige Inszenierung. Das besorgte Claus Guth mit der ihm eigenen handwerklichen Genauigkeit, seiner Lust an kleinen Choreografien und gestischen Details. Mit leicht surrealistisch angehauchten, manchmal auch handfest komödiantisch interpretierten Szenenfolgen und Erzähldetails füllte Guth die «Kronenhalle» nicht mit Stereotypen, sondern mit Existenzen, wie sie tatsächlich an diesen Tischen sitzen könnten. Zerbinetta zum Beispiel ist keine künstliche Bühnenfigur, keine bloss quirlige Chiffre aus der Commedia dell'arte, sondern eine Lebedame, wie sie durchaus samt bewunderndem Anhang hier verkehren könnte.

Auch der Ariadne versteht Guth gleichermassen Tiefe wie eine quasi psychologische Realität zu geben. Bacchus hingegen schwebt seltsam irreal durch diese Szenerie, ein Bruder des unglücklichen Komponisten, der sich am Ende des Vorspiels aus Frust über den künstlerischen Frevel, der seinem Werk angetan wird, und trotz Zerbinettas Verführungsversprechen erschoss und nun als Zombie durch die Szenen oder Köpfe der Anwesenden irrlichtert.

Hervorragende Sänger

Das ganze Ensemble, von den Protagonisten bis zu den Statisten, führt Guth dank seiner unverbrauchten und oft frappierenden Einfälle virtuos durch das Stück. Hintersinnig manchmal ist sein Humor, lustvoll spielt er mit Opernkalauern, etwa wenn die Najaden ihr Haar lösen und als Nornen über das Schicksal Ariadnes orakeln. Das Trio löste auch sängerisch seine Aufgaben mit Bravour, genauso wie alle im hervorragenden, teils luxuriös besetzten Ensemble (Michael Volle als Musiklehrer).

Elena Mosuc als Zerbinetta glänzte wie gewohnt mit den glitzernden Koloraturketten ihrer Partie, aber gab der Figur ungewohnte Tiefe und Dramatik. Sensationell sang auch Emily Magee als Ariadne mit unermüdlicher, klar geführter Stimme in den brandenden Wellen der Schlussszenen, die auch Roberto Saccà mit bewundernswürdig strahlendem Tenor meisterte. Am wenigsten überzeugte Komponist Michelle Breedt: Da waren zwar viel Dramatik und gestaltete Unruhe im Gesang, aber auch eine wenig souverän geführte, über ihre Limiten stolpernde Stimme - immer dann, wenn es laut und hoch werden sollte. Seinen besonderen Auftritt hatte der Intendant Alexander Pereira, der als Haushofmeister seine Sprechrolle sichtlich genoss und es sich auch als Statist nicht nehmen liess, neben Zerbinetta zu speisen. Allerdings vertrieb der intensiv und mit allen Finten und Finessen geführte Kampf um die Schöne bald den Rest des gesetzteren Publikums.

Dohnányis Meisterleistung

Einen nicht minder, wenn nicht gar wichtigeren Beitrag zum Status des Opern-Ereignisses als Guths kurzweilige Inszenierung trugen Christoph von Dohnányi und das Ensemble des Opernorchesters bei. Strauss' Partitur sieht nur eine kleine Besetzung vor, womit jeder Instrumentalist zum Solisten mit anspruchsvollen Aufgaben wird. Erweiterte Kammermusik auf höchstem Niveau ist das, und genauso spielte es das Orchester: mit Delikatesse und Können, Stilgefühl und beweglicher Lebendigkeit. Nicht ohne in den grossen dramatischen Szenen nach Kräften aufzudrehen und die süffigen Klangwogen ausgiebig zu geniessen. Dohnányi behielt auch hier souverän die Übersicht: schlicht eine Meisterleistung des verdienten Dirigenten.