Depression im Nobelrestaurant

Tobias Gerosa, St. Galler Tagblatt (18.12.2006)

Ariadne auf Naxos, 16.12.2006, Zürich

Strauss' «Ariadne auf Naxos» im Zürcher Opernhaus

Die Neuproduktion von Richard Strauss' Oper «Ariadne auf Naxos» am Opernhaus Zürich ist Oper, wie man sie sich wünscht. Die Regie findet eine überzeugende Interpretation des eigenwilligen Stücks, und die Besetzung ist aus einem Guss.

Eigentlich wollten Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal 1911/12 ja nur ein Vorspiel zu Molières «Der Bürger als Edelmann» schreiben, die Max Reinhard als Widmungsträger inszenieren sollte. Diese Kombination hat nicht funktioniert, bei der Überarbeitung haben die Autoren die doppelte Struktur aber beibehalten. Einem dreiviertelstündigen Vorspiel folgt die knapp anderthalbstündige Oper.

Stilisierte Inszenierung

An der Struktur rüttelt Regisseur Claus Guth nicht – und doch stellt er fast alles um. Wo im Vorspiel mit seinen ausgedehnten Parlando-Passagen die Vorbereitungen zur Festoper «im Haus des reichsten Manns von Wien» üblicherweise mit Augenzwinkern gezeigt werden, ist Guths Inszenierung ernst und vor allem stilisiert. Ausgenommen davon ist nur der Komponist, mit dem Michelle Breedt einen fulminanten Zürcher Einstieg feiert. Dass sein tragischer Erstling «Ariadne auf Naxos» auf Geheiss des Auftraggebers zusammen mit einem heiteren Singspiel aufgeführt werden müsse, ist für ihn ein existenzieller Schock, hat er mit dem Paar Bacchus und Ariadne doch hochtrabend seine eigene Beziehung zur Primadonna nachgeformt. Der gänzlich andere Lebensentwurf Zerbinettas stürzt den Komponisten, im Schattenwurf zwingend gezeigt, in eine Krise, aus der er nur noch den Ausweg der Selbsttötung sieht.

Doch Guth belässt es keineswegs bei diesem Knalleffekt, sondern verschränkt Vorspiel und Oper eng. Wenn Ariadne, von Emily Magee mit wohlklingendem Sopran und differenziert gestaltet, die drei Teile ihres grossen Monologs ansetzt, in dem sie auf den Totengott wartet, erscheint geisterhaft der Komponist und wandelt durch die Nachbildung des Zürcher Nobelrestaurants Kronenhalle, das Ausstatter Christian Schmidt mit grösstmöglichem Kontrast zum abstrakten Vorspiel gebaut hat und in der Ariadne depressiv vor einer Flasche Wein sitzt.

Hier wird die Umkehrstrategie der Regie deutlich. Statt Clowns und mythische Griechen bevölkern heutige Menschen die Bühne: Virtuos übernimmt das Komödiantenquartett um Zerbinetta wechselnde Rollen, die als Rocker oder Betrunkene hier immer fehl am Platz sind. Bei Elena Mosucs Zerbinetta lassen sich die technischen Schwierigkeiten der Partie locker vergessen, so selbstverständlich ertönen sie, dazu agiert sie fernab von blosser Naivität.

Zwei Suchende

Wenn Bacchus als Alter Ego des Komponisten auftaucht und ihn Ariadne für den erwarteten Totengott hält, nimmt er dieses Deutungsangebot an: Zwei Suchende halten sich fest. Dass Roberto Sacca als Bacchus deutlich weniger heldisch besetzt ist als üblich, passt sehr gut zur Figur. Doch er lässt auch an Strahlkraft und Wortdeutlichkeit keine Wünsche offen.

Mit einem Kunstgriff schlägt Guth in der ekstatischen Schlussmusik den Bogen zurück zum Vorspiel und ironisiert damit die grosse, tragische Oper, stellt ihre musikalisch als wahrhaft dargestellten Gefühle in Frage, ohne sie lächerlich zu machen. Eine brillant einleuchtende, genau aus Musik und Wort des Stücks erarbeitete Deutung der immanenten Doppelgesichtigkeit.

Christoph von Dohnanyi setzt dem musikalisch ein unerhört fein gewobenes Netz gegenüber. Kammermusikalisch wird im 37-köpfigen Opernhausorchester aufeinander gehört, wird aufeinander reagiert. Dohnanyi sorgt für eine perfekte Balance zwischen operettenhafter Leichtigkeit und tragischem, aber nie dickem Opernton und bestätigt seinen hervorragenden Ruf als Strauss-Dirigent. So verbinden sich Musik und Szene in nahezu idealer, sinnlicher und intelligenter Weise.