Rameaus Farbenreichtum mit ironischen Tupfern

Torbjörn Bergflödt, Aargauer Zeitung (14.06.2004)

Les Boréades, 12.06.2004, Zürich

Barockoper «Les Boréades» mit Marc Minkowski am Opernhaus Zürich überzeugte

Lange Jahre hat im Opernhaus Zürich, wenn man von der Studiobühne absieht, das weite Feld der Barockoper brach gelegen. Auf den Nachruhm des Monteverdi-Zyklus begann sich eine Patina-Schicht zu legen. Inzwischen ist das Haus (wieder) zu einer Adresse geworden für A-Ligisten des einschlägigen Repertoires. Und dass Dirigenten wie William Christie und Marc Minkowski ihre Formationen Les Arts Florissants und Les Musiciens du Louvre gar nicht erst mitzunehmen brauchen, weil mit der Orchestra La Scintilla ein hauseigenes Spezialensemble schon da ist, gibt der Sache einen besonderen Dreh.

Sturmmusikalisches

Diesmal hat Minkowski für «Les Boréades» plädiert. Und an der Premiere durften die originalen beziehungsweise original nach- oder zurückgebauten Instrumente ihre Tugenden offen legen, lockt doch gerade hier, bei Jean-Phi- lippe Rameau, weniger das Melos, die Kantilene, als vielmehr ein besonderer Farbenreichtum. Mit Verve gestalteten die Musikerinnen und Musiker im hochgefahrenen Orchestergraben die rhythmisch und harmonisch tiftelige Partitur. So kamen auch die barockmusikalischen Topoi schön zum Klingen.

Besonders prominent Sturmmusikalisches. Denn diese Oper handelt davon, wie Alphise, Königin von Baktrien, sich dem Zwang widersetzt, einen der beiden Söhne des Nordwindgottes Boreas zu heiraten. Staatsräson versus «raison d´amour»? Feminismus avant la lettre? Mag ja alles sein. Indem aber Apoll bekennt, er habe den von Alphise geliebten Priesterzögling Abaris mit einer Nymphe aus dem Blute des Boreas gezeugt, schnurren die vermeintlich so kraftvoll intonierten vorrevolutionären Motive in dem Werk aus Rameaus Todesjahr 1764 auf ein handlicheres Format zusammen.

Laurent Pelly, der in der Koproduktion mit der Lyoner Oper für Inszenierung und Kostüme verantwortlich zeichnet, und das weitere Regieteam samt dem Choreografen Lionel Hoche halten den noch als «tragédie lyrique» firmierenden Gattungsmischling ins Licht einer stilisierend-abstrahierend designten und fast klassizistisch anmutenden Aufbereitung samt ironischen Tupfern. Kein lastendes Mobiliar. Kein verzichtbares Requisit. Kein rauschendes Kostümfest. Wie schwerelos öffnen und schliessen sich abgerundete grosse Wände.

Trotzdem barockes Maschinentheater

Dem barocken Maschinentheater wird dennoch Genüge getan: mit gegenläufig rotierenden Drehbühnen, Projektionen vor allem zum Thema Wind, auf die Bühne gepustetem Theaternebel, einem riesigen Ventilator im Reich des grausamen Boreas und dem Deus-ex-machina-Auftritt Apolls vom Schnürboden herab. Gelungen auch die zwischen Alt und Neu changierenden Tanzauftritte des Junior-Balletts.

Stilsicher deklamierend gab Annick Massis die Alphise. Der Abaris des Tenors Richard Croft erinnerte zu Recht an den mutgeprüften Tamino der «Zauberflöte». Überzeugend auch Tom Allen und Gabriel Bermudez als die Alphise nachstellenden Boreaden, Jean-Sébastien Bou, Elena Mosuc, François Lis und Martina Jankova in den weiteren Rollen sowie der von Jürg Hämmerli einstudierte Chor.