Zwei Werke um Ehre, Liebe, Eifersucht und Tod

Fritz Schaub, Neue Luzerner Zeitung (18.03.2002)

Cavalleria Rusticana, 16.03.2002, Zürich

Das Opernhaus Zürich koppelt Mascagnis Verismo-Schocker mit einem Werk des Fin de Siècle: eine problematische Verbindung.

Sie gehören zusammen beinahe wie siamesische Zwillinge, die beiden Verismo-Paradewerke «Pagliacci» und «Cavalleria rusticana». Das Zürcher Opernhaus paarte jedoch seinerzeit Leoncavallos blutige Tragödie aus dem Zirkusmilieu mit Puccinis Erstlingsoper «Le Villi», und Mascagnis Melodrama um Ehre, Liebe und Eifersucht in einem sizilianischen Bauerndorf jetzt mit Jules Massenets Drame musical «Thérèse». Das hat den Vorteil, dass ein selten aufgeführtes Werk zu sehen und zu hören ist, das in der Schweiz bisher erst zu hören war (in einer konzertanten, auch auf Platten festgehaltenen Aufführung unter Gerd Albrecht). Operndirektor Pereira begründete die Entkoppelung der traditionellen Paarung damit, dass der tiefe Eindruck der meist zuerst gespielten «Cavalleria» im Verlaufe des Abends durch das nicht minder dramatische Konkurrenzwerk Leoncavallos an Gewicht verliere. Und jetzt? Jetzt gewann die «Cavalleria», nach «Thérèse» gespielt, derart an Furore, dass dafür Massenets rund zwanzig Jahre später entstandenes Spätwerk vollends verblasste. Das hat nicht nur mit den Werken als solchen, sondern auch mit der szenischen Zubereitung und der musikalischen Realisierung zu tun.Vielleicht wäre es besser gewesen, ein anderes Massenet-Werk, «La Navarraise», Mascagnis grossem Wurf an die Seite zu stellen - als französisches Pendant zum Verismo sozusagen. Denn «Thérèse» stellt nicht unbedingt den intendierten Kontrast zum Mascagni-Einakter dar, ist nicht unbeeinflusst von den Strömungen des Realismus; die Schlussszene mit der Besteigung des Schafotts, der kriegerische, revolutionäre Hintergrund erinnern an «Andrea Chénier» oder «Tosca». Daneben freilich gibt es dieses typisch französische Parlando mit ariosen und liedhaften Ausweitungen, doch da kopiert Massenet oft sich selber, greift auf frühere Werke wie «Werther» zurück. Die Inspiration fliesst nicht mehr so reich, ist von einer dekadenten Fin-de-Siècle-Stimmung geprägt.

In Schönheit gestorben

Während dem italienischen Dirigenten Stefano Ranzani, der erstmals am Pult des Orchesters der Oper Zürich stand, die zupackenden Momente - die harten, scharfen Blechbläser-Akkorde gleich zu Beginn - eindrücklich gelangen, blieb im Lyrischen, Atmosphärischen vieles zu sehr im Ungefähren, im Vagen haften, tat er zu wenig, um die Instrumentation aufzulichten. Die Inszenierung blieb zudem den Nachweis schuldig, dass dieses Werk auf die Bühne gehört: Es erstarb sozusagen in den schönen Bildern, die William Orlandi für den ersten (eine malerische Versailles-Ansicht) und den zweiten Akt (ein lichtdurchfluteter, adeliger Innenraum) bereitgestellt hatte, und drohte in den noblen Gesten und langsamen, gemessenen Bewegungen der Protagonisten (Regie: Gilbert Deflo) zu erstarren.Rein gesanglich litt die Aufführung unter der ungenügenden Leistung von Franzisco Araiza (Armand), dessen Tenor glanzlos und unstabil geworden ist (Prompt musste der einstige Publikumsliebling einige Buhs einstecken). Ihr Französisch klang zwar verquollen, aber stimmlich betörte Liliana Nikiteanu in der Titelrolle mit den farblichen Reizen ihres Mezzosoprans und mit kultivierter Phrasierung. Idiomatisch noch am besten traf Michael Volles André den Massenet-Stil, auch wenn er als Figur reichlich blass bleiben muss.Nach der Pause dann die radikale Wende: Eine riesige Freitreppe mit Marmorstufen in gesprenkelten Farben füllte als einziges Bild den ganzen Bühnenraum aus. Ein Bühnenbild gleich einer Arena unter freiem Himmel, die mehr als das dörfliche Leben die antike Vergangenheit Siziliens in den Vordergrund rückte, das Drama in den Rahmen einer mit der Unerbittlichkeit und Folgerichtigkeit einer griechischen Tragödie abrollenden Handlung stellte. Und vollends verliehen das Orchester und die Sänger dem Werk diesen Charakter.

Faszinierendes stimmliches Duell

Ranzani liess nämlich die Melodien mit sinnlicher Glut bei schlanker Tongebung aufblühen, schloss die sich fast pausenlos folgenden dramatischen Einschübevzu einer einzigen Kette zusammen und setzte das Werk unter Hochspannung. Mit Luciana d'Intino als Santuzza und Peter Seiffert standen sich zwei Vollblutsänger gegenüber, die sich gegenseitig an vokaler Emphase überboten und sich ein faszinierendes stimmliches Duell lieferten. Dabei demonstrierte der Bayreuth-erprobte Wagner-Sänger Seiffert, der als Tannhäuser in Zürich so sehr imponiert hatte, wie schnörkellos, ganz ohne Schluchzer man die Partie des Turiddu singen und dabei doch brillieren und erschüttern kann. Cheyne Davidson fiel es nicht ganz leicht, angesichts dieser Temperamentsausbrüche mitzuhalten, erfordert doch die Rolle des für seine Ehre kämpfenden Alfio eher einen ungeschlachten Bariton mit Stentorkraft.