Eine Diva beisst die andere

Susanne Kübler, Tages-Anzeiger (30.04.2002)

Il Turco in Italia, 28.04.2002, Zürich

Rossinis «Il Turco in Italia» im Zürcher Opernhaus ist ein einziges Vergnügen. Offenbar auch für die Darsteller: Cecilia Bartoli jedenfalls war bei der Premiere am Sonntag kaum zu bremsen.

Natürlich, man hat es auch schon gesehen, wie Cecilia Bartoli mit steifem Kreuz und klirrender Stimme an einer Rivalin vorbeigerauscht ist. Neu ist dagegen, dass sie diese, wenn es denn handgreiflich wird zwischen den Damen, durchaus auch mal in den Hintern beisst. Überhaupt ist Bartolis Auftritt als Fiorilla in Rossinis selten gespielter Oper «Il Turco in Italia» geprägt von einer gesteigerten Hemmungslosigkeit, mit der die Sängerin ihr Vergnügen an dieser Rolle auslebt, um nicht zu sagen: austobt. Sie trällert und trauert, keift und zwitschert, flirtet und intrigiert mit vollem Einsatz von Körper und Augen und Stimme, und so schön sie singt, so verblüffend ihre Koloraturkünste einmal mehr sind, es sind vor allem die nicht ganz so schönen, die kitschigen oder giftigen Töne, die ihren Auftritt so umwerfend machen. Cecilia Bartoli, die bisher erst auf CD als Fiorilla zu hören war, hat ganz offensichtlich eine neue Paraderolle gefunden - in einer Aufführung, in der auch sonst alles stimmt.

Mehr als ein Schwank

Eigentlich wäre Gioachino Rossinis 1814 in Mailand uraufgeführter «Turco in Italia» ein ziemlich simpler Schwank. Fiorilla hat genug von ihrem Ehemann, der Geliebte ist ihr ebenfalls verleidet, und so lässt sie sich mit einem Türken ein, der zufällig nach Italien kommt. Der hat nichts dagegen, mag aber auch auf seine frühere Liebe Zaida nicht verzichten, die nach langer Zeit plötzlich wieder auftaucht. Es folgen Eifersuchtsszenen, ein Entführungsversuch, ein Maskenball, Verwechslungen und Versöhnungen, und am Ende sind die ursprünglichen Paare wieder glücklich vereint.

Das wäre alles so, wie es sich für ein «Dramma buffo» gehört - wenn da nicht ein Dichter vorkommen würde, der sich diesen Schwank überhaupt erst ausdenkt. Sozusagen offstage berät, beobachtet und kommentiert er seine Figuren und freut sich, wenn eine Konstellation dann wirklich Funken schlägt. Denn besonders begabt ist dieser Dichter nicht: Von kohärenter psychologischer Zeichnung der Charaktere hat er keine Ahnung, eine stringente Logik der Handlung ist ebenfalls nicht seine Sache. Was umso ironischer wirkt, als Rossini wiederum die Begabung hatte, genau solche Brüche auf höchst prägnante Weise in Musik umzusetzen: Sei es, dass er die gefühlsmässigen Extreme fast karikaturistisch überzeichnet, sei es, dass er die Figuren im Moment der grössten Verwirrung, beim Maskenball, auch einmal orientierungslos und ohne Orchester ein A-cappella-Quintett singen lässt.

Regisseur Cesare Lievi, der sich gerade der (Selbst-)Ironie dieses Stücks mit besonderer Liebe annimmt, geht konsequenterweise ganz vom Dichter aus, den er gleich mehrfach auf die Bühne bringt: Bei so viel Konfusion kann es nie genug Berater geben. Selbst der Souffleur sitzt als Dichter-Double an der Seite jener schrägen Spielfläche, auf der die Protagonisten ihren Amouren nachgehen.

Und das Spiel im Spiel wird auch sonst bis in jedes Detail gepflegt: So nähert sich das Schiff des Türken ganz einfach per Dia-Projektion, in immer grösser werdenden Zeichnungen des Karikaturisten und Ausstatters Tullio Pericoli; die skurrilen Möbelgruppen sind halb gemalt und halb echt; und wenn des Dichters Fantasie einmal nicht mehr weiter weiss, erstarren die Protagonisten zu Statuen.

Dass die geistreiche Originalität dieser Inszenierung auch den Sängerinnen und Sängern Spass macht, ist nicht zu übersehen. Ruggero Raimondi etwa, der sonst eher in ernsthaften Rollen brilliert, beweist als Türke Selim mit mächtigem Bass, verschleiertem Blick und schnellen, nicht immer erfolgreichen Annäherungsversuchen durchaus Buffo-Talent. Auch Paolo Rumetz scheint die Rolle des spiessigen Ehemanns Dort Geronio zu geniessen und meistert seine aufgeregten Schnellsingauftritte mit sonorer Stimme, die nur dann jämmerlich kiekst, wenn er es will. Und Reinaldo Macias ist ebenfalls eine erstklassige Besetzung für Fiorillas Liebhaber, den tranigen Geck Don Narciso, der sich namensgerecht gern im Knauf seines Gehstocks spiegelt und dabei tenoralen Schmelz absondert.

Rossini-Debüt für Welser-Möst

Diesen Stock bekommt dann auch einmal der Dichter zu spüren, den Oliver Widmer in jeder Gemütslage überzeugend gibt - in der Begeisterung über die eigene Geschichte wie auch in der Verzweiflung, wenn seine Figuren gegen ihn rebellieren. Judith Schmid schliesslich, die als Selims Geliebte Zaida als Einzige keine komische Rolle hat, ist stimmlich und darstellerisch genau so, wie der Dichter sie beschreibt: schön und interessant. Nur wenn die Bartoli dreinschlägt, dann gibt sie ohne weiteres zurück.

Schön, interessant und wenn nötig handfest ist auch das, was aus dem Orchestergraben kommt: Franz Welser-Möst dirigiert erstmals in Zürich eine Rossini-Oper, und er macht es ausgesprochen gut. Flink und spritzig spielt das Orchester der Oper in den Ensembleszenen, die Trauerarie der Fiorilla wird dagegen mit grossem Atem und ruhigem Klang begleitet. Auf die Finessen der Instrumentierung wird ebenso geachtet wie auf den Zug im Ganzen. Und dass die vielen heiklen Tempo- und Stimmungswechsel kaum je für Wackelkontakte zur Bühne sorgen, ist alles andere als selbstverständlich: Selten kippt Zärtlichkeit so brüsk in Rage um wie in dieser Oper, des Dichters Figuren sind unberechenbar.

So führt die Musik im perfekten Einklang zum Bühnengeschehen direkt zu jenem Happyend, das in Zürich nur beinahe eines ist. Denn wenn sich am Ende die Paare wieder gefunden haben, streckt Fiorilla die Hand schon wieder nach Don Narciso aus, und Selim schaut eigentlich auch in die falsche Richtung. Der Dichter ist zerknirscht, das Publikum begeistert: Solange diese Geschichte so gut gegeben wird, würde man sie sich tatsächlich gern noch einmal von vorne anschauen.