Ein Wiedergänger als Verführer

Tobias Gerosa, Der Bund (20.01.2004)

Eugen Onegin, 18.01.2004, Zürich

Ziemlich uneinheitlich: Tschaikowskis «Jewgeni Onegin» am Opernhaus Zürich

Tschaikowskis Oper für einmal bei ihrer Bezeichnung «lyrische Szenen» genommen - keine grosse Oper, sondern beinahe ein Kammerspiel. Doch vor allem die Regie vermag diesen Ansatz nicht durchzuhalten.

«Dann führten sie schliesslich den wattierten Schlafrock und die Haube wieder ein», singen die beiden Alten Larina und Filipjewna (mit Stefania Kaluza und Cornelia Kallisch luxuriös besetzt) in Erinnerungen schwelgend am Anfang von Tschaikowskis «Jewgeni Onegin». In übertragenem Sinne führt auch die Inszenierung den Schlafrock wieder ein und hält sich im ersten Akt ganz an ein Bilderbuchrussland.

Unübersehbar wird Onegin darin als Fremdkörper eingeführt: Ganz in Schwarz und mit düsterem Blick verfinstert er das helle Bild. Er ist eine Figur mit einer gewissen nonchalanten Dämonie, die in der Musik allerdings kaum Entsprechung hat. Trotzdem macht ihn Michael Volle damit zur bühnenbeherrschenden Figur. Dass er die ruhige Tatjana beeindruckt, ist nachvollziehbar. Mit Maya Dashuk hat das Opernhaus eine junge Sängerin für die Rolle verpflichtet. Ihre Stimme ist für die Partie ungewohnt lyrisch, und ohne die Rücksichtnahme des Dirigenten könnte sie untergehen. Sie tut es nicht, und wie verletzlich Tatjana wird, ist faszinierend zu sehen.

Dirigent Vladimir Fedoseyev nimmt Tschaikowskis Gattungsbezeichnung «lyrische Szenen» ernst. Sehr zurückgenommen und fein klingt da vieles und bietet neben den Sängern auch den Bläsern oft die Möglichkeit, solistisch hervorzutreten. Farblich dunkel grundiert übernimmt das Orchester einen wichtigen Anteil darin, die Zustände der Figuren zu schildern. Dass es immer lauter wird, wenn auf der Bühne niemand singt, wirkt allerdings unorganisch.

Nach der ersten Szene beginnt sich der Naturalismus immer mehr aufzulösen. In der zentralen Briefszene hebt Tatjanas Schlafzimmer ein paar Zentimeter in die Luft ab, die Kerze brennt rückwärts, und wenn sie nicht weiss, ob sie Onegin als Schutzengel oder Verführer sehen soll, erscheint neben Onegin im Hintergrund jene geflügelte Gestalt (Tänzer Daniel Chait), die als symbolschwangere Chiffre fortan immer wieder auftauchen wird.

Fehlende emotionale Tiefe

Zusammenpassen mag das genauso wenig wie die weiss geschminkten Leichen im Ball des zweiten oder die uniformierten Zombies im dritten Akt. Dass sich mit der Verunsicherung und dem Abstieg Onegins auch in den Räumen (Bernhard Kleber) und den Kostümen (Reinhard von der Thannen) die vermeintliche Sicherheit auflöst, wäre ein interessanter Gedanke. Onegin in diesem Konzept als einen getriebenen Wiedergänger, als Verwandten des fliegenden Holländers zu zeigen, macht darin durchaus Sinn. Nur reicht es nicht, dafür verschiedene Stile und Stilmittel aneinander zu hängen, die Interpretation müsste anhand der Figuren entwickelt werden. Dies gelingt nur bei Fürst Gremin. Im Rollstuhl wird er zum Gegenentwurf, gerade durch Laszlo Polgars noble, gleichsam in sich ruhende Interpretation.

Das zweite Paar Olga und Lenski rückt sehr aus dem Fokus, obwohl Liliana Nikiteanu und Zürichs Tenorstar Piotr Beczala ihnen vokal eigenständiges Profil verleihen. Doch bei allen Piani, die Beczala nicht nur in seiner Arie aufbieten kann, fehlt seiner Figur wie dem ganzen Abend noch die emotionale Tiefe. Eher lau (durchsetzt mit Buhs für die Regie) fiel dann auch der Applaus aus.