Reduktion mit Ausrutschern

Tobias Gerosa, St. Galler Tagblatt (26.09.2006)

Doktor Faust, 24.09.2006, Zürich

Busonis «Doktor Faust»: Sperriges Schwergewicht am Opernhaus Zürich

Nach dem Leichtgewicht der beiden italienischen Einakter vor zwei Wochen bleibt das Opernhaus Zürich ziemlich genau in der selben Zeit, stemmt aber einen veritablen Brocken: Ferruccio Busonis «Doktor Faust».

Busonis «Doktor Faust» von 1924 gilt in der Literatur zwar als zentrales Werk des 20. Jahrhunderts, wird aber nur sehr selten gespielt. Die äusseren Anforderungen werden von den inhaltlichen Fragen noch übertroffen. Das beginnt mit der Versionsfrage: Busoni hat das Stück nicht vollendet, fast der ganze Schluss fehlt. Ein Schluss, dessen Text so vage bleibt, dass die Musik über Verklärung und Erlösung oder Verdammnis entscheiden muss: Faust übergibt sein Leben seinem Kind und geht ab, «stirbt», heisst es im Libretto.

Philipp Jarnach hat schon für die Uraufführung 1925 die verheissungsvollere Version nachkomponiert. Mit spätromantischem Überschwang und einer Opernhaftigkeit, die nicht recht zum Vorhergehenden passen will – aber sehr schön ist und dem Orchester nochmals Gelegenheit gibt, sich in ganzer Farbigkeit zur Geltung zu bringen. Der junge Philippe Jordan, der seine zweite Zürcher Premiere leitet, nutzt diese Chance, nachdem er schon zuvor eindrücklich und mit Nachdruck für die schillernde, sperrige, sich auch organischem Fluss entziehende Partitur einsetzte.

Fragwürdige Dramaturgie

Immer wieder fragt man sich bei Busoni, wie sich dieser Strang der Moderne weiterentwickelt hätte, wäre er durch die Nazis nicht unterbrochen worden. Ganz neue Wege ging Busoni in der Dramaturgie. Für seine Version des Faust-Stoffes hat Busoni vorwiegend auf ältere Quellen zurückgegriffen – im Bühnenbild Eduardo Arroyos, das vor der Pause mit dem die ganze Bühne umlaufenden Industriegestell voller farbiger Flaschen mehr überzeugt als mit der aufgereihten Requisitenkammer danach, ist Goethe bei der Erscheinung Helenas als Bild präsent.

Ähnliche Inkonsequenz prägt auch Klaus Michael Grübers Regie. Beeindruckt sie am Anfang noch durch ihre Ruhe und Konzentration, die ganz auf die Musik und den (glücklicherweise auch projizierten) Text hinleitet und der radikal individualistischen, vorbildlosen Dramaturgie Raum zur Entfaltung gibt, irritieren die naturalistischen Teufelchen und Erscheinungen. Spätestens, wenn sich in der Schlussszene der gekreuzigte Jesus in Helena verwandelt, wird sichtbar, wie problematisch der Ansatz auch ist.

Bestechende Hauptdarsteller

Aber die zwei Hauptdarsteller machen vieles, das von der Regie wenig ausgearbeitet wirkt, wieder gut. Thomas Hampson als Faust und Gregory Kunde als Mephistopheles – sie lassen viel von ihrem Rollenverständnis einfliessen, während die Nebenfiguren auch musikalisch nicht immer genau genug agieren.

Kundes Mephistopheles wirkt angelehnt an Gründgens' berühmte Interpretation, stimmlich bringt er Belcanto-geschult einen verführerischen Ton in seinen Teufel. Hampson seinerseits macht den zunächst fast zu starken Faust zum düstern Grübler. Auch wenn die Stimme spröder geworden ist und mit Spitzentönen Mühe bekundet – dank seiner Intensität bleibt er eine Idealbesetzung.