Sängerfest in kargem Ambiente

Fritz Schaub, Neue Luzerner Zeitung (26.05.2004)

Les vêpres siciliennes, 23.05.2004, Zürich

Verdis nur selten gespielte «I Vespri Siciliani» wird im Opernhaus Zürich zu einem erstklassigen Sängerfest. Die Regie bleibt eindimensional.

Die Hochzeitsglocken zur Vesper sind gleichzeitig das Zeichen für das Massaker der Sizilianer an den Franzosen. Dolche blitzen auf, die Rückwand zeigt riesige rote Blutflecken. Unter Rachegeschrei stürzen sich die Unterdrückten auf die Besatzer, töten den Tyrannen Monforte und die übrigen Franzosen. Blackout und Ende der Oper.

Das Blutbad von 1282 ging als «Sizilianische Vesper» in die Geschichte ein. Giuseppe Verdi rückte bei seinem Auftragswerk für Paris (1855) die Beziehungen der Protagonisten ins Zentrum: Elena, die den sizilianischen Widerstandskämpfer Arrigo liebt, der erfahren muss, dass er der Sohn des Besatzers Monforte ist.

Düstere Versatzstücke
Der Konflikt zwischen Unterdrückern und Unterdrückten bildet das eine Hauptelement der Oper. Das zweite das Verhältnis von Monforte zu Arrigo mit den aufwallenden Vater-Sohn-Gefühlen. Die Verflechtung dieser beiden Ebenen wäre der Ansatzpunkt für die Inszenierung. Doch Regisseur Cesare Lievi überlässt die Sänger über weite Strecken sich selber - hilflose Gestik und immer wieder Rampensingen. Die grossen Chorszenen geraten überaus statisch. Ausstatter Maurizio Balò schuf ein karges Einheitsbühnenbild aus düsteren Versatzstücken. Auch die Lichtregie vermag keine stimmigen Akzente zu setzen.

Sängerische Glanzlichter
Musikalisch indes erweisen sich diese «Vespri Siciliani» als reiche Entdeckung. Zeitgenosse Hector Berlioz hatte 1855 «die Verschmelzung von französischen Opernelementen und Italianità» und die «Intensität des melodischen Ausdrucks» hervorgehoben. Bereits die (Potpourri-) Ouvertüre liess aufhorchen: Dirigent Carlo Rizzi musizierte mit dem Orchester der Oper Zürich drei Stunden überaus farbig und rhythmisch pointiert: Ausladende Concertati und Tableaus kontrastierten mit filigranen Piano-Stellen. Rizzi trug die Sänger auf Händen.

Diese liessen sich nicht zweimal bitten. Paoletta Marrocu sang die schwierige Sopranpartie der Elena mit dramatischer Attacke, nicht ganz frei von Schärfen, aber dennoch - wo gefordert - auch lyrisch-empfindsam. Als ihr Geliebter Arrigo liess Marcello Giordani aufhorchen: Ein kraftvoller Tenor mit offenbar unbegrenzten Reserven in der Höhe, subtilen Piani und schönem, wohlklingendem mezza voce.

Leo Nucci gestaltete den Monforte als vielschichtigen Charakter, geadelt durch seinen warmen, weich strömenden Bariton. Ein Höhepunkt seine Arie «In braccio alle dovizie», gesungen ohne jede Larmoyanz. Der vierte Italiener im Bunde war Ruggero Raimondi als Procida. Der Bassist beeindruckt noch immer durch die kluge Disposition seiner Mittel, obwohl die Stimme inzwischen an Glanz verloren hat. Die Nebenfiguren und der schlagkräftige Chor fügen sich harmonisch ins Ganze ein. Für das Produktionsteam setzte es an der Premiere kräftige Buhrufe ab, während Sänger und Dirigent enthusiastisch gefeiert wurden. Eine Rarität, die mit einem hochkarätigen Sängerquartett überzeugt und Zürichs umfangreiches Verdi-Repertoire bereichern dürfte.