Glaubensmutig aufs Schafott

Torbjörn Bergflödt, Aargauer Zeitung (04.05.2004)

Les Dialogues des Carmélites, 02.05.2004, Zürich

Dialogoper Poulenc-Erstaufführung am Opernhaus Zürich

Was tun mit einer französischsprachigen Oper, die ihr Schwergewicht im erörternden Gespräch unter den Figuren hat? Der Regisseur Reto Nickler und sein Bühnenbildner Hermann Feuchter haben das schon im Werktitel angekündigte dialogische Prinzip in den «Dialogues des Carmélites» nicht verdrängt oder gar verleugnet.

Für die erstmalige Inszenierung von Francis Poulencs Dreiakter am Opernhaus Zürich haben sie es vielmehr regelrecht umarmt: Projektionen der wichtigsten Textabschnitte in deutscher Übersetzung auf wechselnde Flächen bilden einen prominenten Bestandteil des Bühnendekors. Der mit Packpapier und Klebband wie improvisiert ausgekleidete Raum samt Kulissen ist denkbar unkulinarisch und durchaus gewöhnungsbedürftig - aber wird vielfältig genutzt. Für (weitere) Verfremdungseffekte sorgen Bühnenarbeiter, die kleinere Umbauten verrichten, und ein Souffleur, der vorne rechts und gut vernehmlich seinen Dienst tut.

Starke Darstellerinnen

Die Handlung spielt in Paris und in Compiègne in den Jahren 1789 bis 1794. Die junge Blanche, seit frühster Kindheit an Panikanfällen leidend, sucht ihr Heil in einer Klostergemeinschaft. Im Zuge eines Dekrets zur Aufhebung aller Klöster legen die Karmeliterinnen einen Märtyrereid ab und steigen singend aufs Schafott. Als Letzte auch Blanche, die ihre Angst im christlich-katholischen Glauben überwunden hat. Das vom Komponisten erstellte Libretto der 1957 uraufgeführten Oper geht zurück auf ein Filmskript beziehungsweise ein Stück von Georges Bernanos (1947), das seinerseits die Novelle «Die Letzte am Schafott» (1931) von Gertrud von Le Fort beerbt.

Katharina Weissenborns Kostüme stehen in chiffrierter Form für Rokoko- oder Klosterwelt oder verweisen auf die Brutalität jedweder Revolution. In der sorgfältig ausgestalteten Personenführung Nicklers und unter der musikalischen Leitung von Michel Plasson sind starke singdarstellerische Leistungen herangewachsen. So wurden an der Premiere die Todesängste der (nicht unter der Guillotine) sterbenden alten Priorin von Felicity Palmer mit bohrender Intensität glaubhaft gemacht. Isabel Rey brachte die existenzielle Geworfenheit der Blanche über die Rampe und Christiane Kohl die frohgemute Glaubenszuversicht der Schwester Konstanze. Eindrücklich auch Stefania Kaluza als prinzipientreue «Mère Marie» und Juliette Galstian in der Rolle der neuen Priorin. Jürg Hämmerli hat die Chorpartien sauber einstudiert.

Singendes Sprechen: Dass Poulenc seine Partitur unter anderen Monteverdi dedizierte, wird auch hörbar. Anderes gemahnt an Mussorgski, einen weiteren Widmungsträger. Schwächelnder Eklektizismus allerdings ist nicht auszumachen. Unter Plasson hörte man im Graben den breiten Radius im Orchesterpart aus von der «keusch»-zarten Durchsichtigkeit bis zum zufahrenden Tutti-Schlag.