Klatschstory auf dem Bühnenrad

Benjamin Herzog, Basler Zeitung (16.03.2004)

Radamisto, 14.03.2004, Zürich

«Radamisto» von Händel als Schweizer Erstaufführung am Zürcher Opernhaus

Und sie dreht sich doch. Die Bühne im Zürcher Opernhaus. Man hat wieder etwas ausgegraben, eine Oper von Händel, «Radamisto». Die Opera seria, 1720 im King’s Theatre in London uraufgeführt, erklingt nun unter William Christies Leitung in Zürich. Ein Haus, das nicht gerade mit mutiger Uraufführungspolitik glänzt, sorgt für Repertoireerneuerung mit hierzulande erstaufgeführten Opern - knapp dreihundert Jahre nach ihrer Entstehung.

Es gibt den Tyrannen, er trägt Pelz und raucht und begehrt nicht mehr seine Frau Polissena, sondern Zenobia, die pikanterweise deren Schwägerin ist. Radamisto, Zenobias Mann und Polissenas Bruder, steht als Titelheld im Zentrum des Geschehens. Etwas ist nicht im Lot. Wie mit der Liebe einer einzigen Frau, so begnügt sich der Pelzträger, er heisst Tiridate, auch mit seinem Machtvolumen nicht. Er möchte Radamistos Anteil an der gemeinsamen Herrschaft erpressen. Der Herrschaft über ein Reich, über eine Frau - das kann dieser Machtmensch nicht so scharf trennen, weshalb er schliesslich auch bei dem Objekt seines Begehrens abblitzt.

Schöner Gesang

Claus Guth und sein Bühnenbildner Christian Schmidt erzählen die Geschichte mit ausgiebigem Gebrauch der Drehmechanik in zwei nach aussen gekehrten Hälften eines ovalen Raums. Diese Welt im klassischen Stil dreht sich zwar immer noch, aber um sich selber. Was zusammengehört, ist getrennt, kehrt sich den Rücken zu, ist verkehrt hingestellt. Damit ist die Ordnung gestört, aber nur so können wir auch hineinsehen. Ins Private, das hier massgeblich ist. Der ursprüngliche politische Kontext («Radamisto» entstammt den «Annalen» des römischen Historikers Tacitus), ist bereits in seinen Dramatisierungen im 17. Jahrhundert gewichen.

Das Leid, das Tiridates Übergriffe auslösen, ergiesst sich vornehmlich in schöne Gesangsnummern. Allen voran glänzt darin Liliana Nikiteanu. Die Sopranistin stösst in erstaunliche emotionale, aber auch ganz reale Tiefen vor. Etwa mit ihrer schwer seufzenden Cavatine «Quando mai, spietata sorte» zu Beginn des zweiten Akts. Ihre vom Tyrannen umgarnte Zenobia hält zum geliebten Radamisto. Der wird vom neuen Star der Zürcher Oper gesungen: der androgynen serbischen Altistin Marijana Mijanovic. Nicht optimal in Form, kamen ihre gestalterischen Fähigkeiten an der Premiere nur ansatzweise zur Geltung. Solide Leistungen erbrachten Malin Hartelius als Polissena, Rolf Haunstein als deren Vater Farasmane und, wenngleich an Grenzen stossend, Reinhard Mayr als Tiridate.

Starke Regie

In der Rolle der Fürsten Tigrane und Fraarte glänzten die spielfreudige Isabel Rey und Elizabeth Rae Magnuson, deren komisches Talent davon ablenkt, dass sie grösste vokale Virtuosität besitzt. Das macht viel aus in dieser Oper, deren Inhalt - eine moralisch abgefederte Klatschgeschichte - uns eigentlich wenig interessiert. Wohl lenkt der Tyrann am Schluss ein, bekehrt durch die Güte des ihm verzeihenden Radamisto. Doch blass ist das Hoch und Nieder der Stimmungen vor dieser Auflösung. Das «Barock»-Orchester des Opernhauses «La Scintilla» und William Christie begleiteten präzis, liessen aber wenig Farben und Stimmungen zu. Die vierköpfige Continuogruppe erlaubte sich sogar einige Patzer.

Der Bonus der Zürcher Produktion liegt in Claus Guths Regie. In der feinen Figurenpsychologie, in der Vermischung von Realität, Traum und Fantasie. Ein Ballett verdoppelt die Personen, stellt sie in herbeifantasierten Szenen dar. Zenobia «erdolcht» so ihren widerlichen Liebhaber, Tigrane erträumt sich das Tête-à-tête mit der Geliebten Polissena. Zu der ernsten Psychologisierung der Opera seria kommen Brüche, kommt die Nummer Fraartes als Gitarrenheld à la Presley, der seine Herrin aufmuntern will, kommen die Killer Tiridates mit Gelhaaren und Pilotenbrille.

Bei der letzten Drehung der Bühne sind wir wieder am Anfangsbild angelangt: Die Herrschaften bei Dessert und Champagner. Fraarte spielt wieder mit seiner Pistole, Tiridate beschmutzt sich erneut das Hemd, steht auf, als ob sich die Welt keinen Millimeter weiter gedreht hätte, und geht zu seiner Schwägerin. Ob er ihr noch einmal an den Busen greift, wissen wir nicht. Denn im Gegensatz zur Echtwelt hält jedes Bühnenrad irgendwann einmal an.