Nicht nur darstellerisch überzeugend

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (16.03.2004)

Radamisto, 14.03.2004, Zürich

Im Opernhaus Zürich wird Händels «Radamisto» aufgeführt

Seine erste Oper für die Royal Academy war einer von Händels grössten Triumphen. In Zürich wiederholte sich dank intelligenter Inszenierung und packender musikalischen Umsetzung die Geschichte.

Bloss ein kurzes Rezitativ braucht Tiridate um vom blutrünstigen Tyrannen zum guten König, ehrlichen Freund und treuen Ehemann zu werden. Sowas glaubt heute keiner mehr, auch nicht Claus Guth, der Regisseur dieser Aufführung von Händels «Radamisto».

Aber eigentlich ist es konsequent: In der italienischen Opera seria entwickeln sich die Handlungsstränge schnell und schnörkellos in den Rezitativen und in den grossen Da-capo-Arien dazwischen werden die Leidenschaften und Emotionen in höchster Koloraturvollendung zelebriert, während die Handlung quasi angehalten wird. Die italienische Barockopern sind so schwierig zu inszenieren, weil moderne Opernregisseure mit diesen Leerräumen szenischer Aktion in der Regel nichts anfangen können.

Verdoppelte Figuren

Anders Guth: Er ging den umgekehrten Weg und hob die Arien aus dem realen Geschehen heraus. Er machte dies zusätzlich deutlich, indem er manchmal die Szene stoppte und die Protagonisten aus dem Handlungsrahmen heraustreten und eine Tour um die ganze Drehbühne absolvieren liess. Die anderen Figuren wurden teilweise mit Tänzern verdoppelt. Dadurch ergeben sich unglaublich starke, suggestive Bilder.

Das zweite Kennzeichen einer Guthschen Inszenierung ist ihre Musikalität. Jede Aktion hat eine musikalische Entsprechung. Und das dritte ist: Er weiss genau, was er welchen Sängern zumuten kann und schafft damit rundum glaubwürdige Figuren, bis hin zum witzigen Auftritt von Elizabeth Rae Magnusonm, die eine ihrer Arien gekonnt als Heavy-Metal-Parodie aufs Parkett legte.

Beeindruckend auch das Bühnenbild von Christian Schmidt: Zweimal dasselbe klassizistische Halbrund in edlem Weiss, montiert auf der Drehbühne, womit sich zwei weitere Räume zwischen diesen repräsentativen Gemächern auftun. Das reicht allerdings noch lange nicht, entscheidend für den hervorragenden Gesamteindruck waren vor allem das gekonnte Timing und die unglaubliche Musikalität, mit welcher die Szenerien wechselten. Endlich einmal eine Produktion, welche die Drehbühne sinnvoll einsetzt und nicht wie sonst einfach endlos Karrussell fährt.

Da war es schon gar keine Überraschung mehr, dass sich am Schluss das Friede-Freude-Eierkuchen-Familienbild im letzten Moment zum Kreislauf rundete: Tiridate kann von Zenobia doch nicht lassen, wir stehen dort, wo wir dreieinhalb Stunden zuvor gestanden haben, und dies obwohl - das einzige Mal an diesem mitreissenden Opernabend - die Musik eine andere Geschichte erzählt. Es war halt bloss ein sehr kurzes Rezitativ ...

Extreme Emotionen

Nicht nur darstellerisch überzeugten die sieben Protagonisten, auch ihrer sängerischen Hauptaufgabe waren sie zufriedenstellend bis berauschend gewachsen. Isabel Rey und Marijana Mijanovic wurden als krank angekündigt. Die Spanierin war wirklich zeitweise am Ende ihrer Kräfte, stand die Partie schliesslich aber durch. Bei der Serbin mit der elektrisierenden Altstimme in der Titelrolle waren keine Schwächen zu hören: ein imposantes Rollenporträt. Dasselbe gilt für Malin Hartelius als Polissena, welche die extremen Emotionen, hin- und hergerissen zwischen der Treue zum untreuen Tyrannen und ihrer Familie, beeindruckend und anrührend zum Ausdruck brachte.

Rolf Haunstein meisterte seine erste Händel-Partie in 40 Jahren Sängerleben achtbar, Reinhard Mayr verlor sich in seinen Koloraturen, bewies aber sonst ebenfalls Gestaltungskraft und Ausstrahlung. Elizabeth Rae Magnuson war als (Ba-)Rocksängerin genauso tadellos wie Liliana Nikiteanu in ihrer ersten Händel-Partie. Sie bot ein prächtiges Beispiel dafür, wie Sänger heute, ohne Barock-Spezialisten zu sein, mit stimmlicher Beweglichkeit und stilistischem Gespür unter der Anleitung einer Koryphäe wie William Christie den sängerischen und technischen Anforderungen einer solchen Partie gerecht werden können.

Horrend schnelle Tempi

Die Barock-Fraktion «La Scintilla» des Zürcher Opernorchesters ist, was Klangfarben und Phrasierungen betrifft, von Christies eigenem Ensemble «Les Arts Florissants» kaum noch zu unterscheiden. Die traumwandlerische Sicherheit in der Umsetzung von Christies durchaus eigenwilligem Dirigierstil geht den Zürchern noch etwas ab, was hin und wieder zu Koordinationsstörungen zwischen Bühne und Orchester führte. Und die teils horrend schnellen Tempi sind bei aller instrumentalen Virtuosität dann doch an den Grenzen der spieltechnischen Fähigkeiten.