Trotz Problemen viel Applaus erhalten

Sibylle Ehrismann, Zürcher Oberländer (16.03.2004)

Radamisto, 14.03.2004, Zürich

Opernhaus Zürich: Premiere von Georg Friedrich Händels Opera seria «Radamisto»

Wie stürzt man einen Tyrannen im Machtrausch? Man versagt ihm ganz einfach die Gefolgschaft und unterstützt dessen Gegner. So jedenfalls erzählt es uns die Geschichte des Radamisto von Georg Friedrich Händel und seinem Librettisten Nicola Francesco Haym. Die dreieinhalbstündige Opera seria hatte am Sonntag am Opernhaus Zürich Premiere. Trotz einiger Längen und sängerischer Probleme gab es begeisterten Applaus. William Christie stand am Dirigentenpult, Claus Guth und Christian Schmidt zeichneten für die spritzige Inszenierung und schlicht-schöne Ausstattung.

Wenig beachtete Oper

Händels «Radamisto» gehört zu den wenig beachteten Opern des Barockmeisters. Diese Opera seria schrieb er kurz nach seiner Übersiedlung nach London für das neu gegründete Londoner King's Theatre Haymarket, um die Engländer mit der Italienischen Oper vertraut zu machen. Sicher spürt man schon in dieser Seria die Raffinesse, mit welcher Händel Trauer und Liebesglück schildert. Die schematischen Formen werden sanft aufgebrochen und der vorherrschenden Stimmung angepasst. Und doch hätte es der Zürcher Produktion nicht geschadet, wenn man diese Oper sanft gestrafft und einzelne Arien, vor allem der ewig leidenden Zenobia, gestrichen hätte.

Die Geschichte des Radamisto ist an sich schnell erzählt. Der alte Herrscher Farasmane hat sein Reich unter seinem Sohn Radamisto und seinem Schwiegersohn Tiridate aufgeteilt. Doch Tiridate, erst einmal an der Macht, will nicht mehr teilen. Er will das ganze Reich für sich, begehrt Zenobia, die Frau Radamistos, und will alle morden, die ihm nicht gehorchen. Zudem verhöhnt und betrügt er seine Frau. Und doch ist es die bei aller Demütigung treue Gattin Polissena, die den Tyrannen schliesslich vor dem Attentat ihres Bruders rettet. Und damit nimmt die Tyrannei ihren Lauf ...

Konzentration auf den psychologischen Aspekt

Claus Guth konzentriert sich in seiner Regie ganz auf das Psychologische dieses Familienzwists, das repräsentative Herrschertum tritt in den Hintergrund. Dementsprechend wird auch kein pompöses Austattungstheater betrieben. Die Figuren sind mit eleganten, schlicht modernisierten Kostümen eingekleidet, und Bühnenbildner Christian Schmidt hat ein funktionales Dreh-Bühnenbild entworfen. Es gliedert die Drehscheibe in zwei spiegelbildliche Räume (Esssaal und Schlafzimmer), und in der Vierteldrehung zeigt sich ein dunkler Korridor, sozusagen der Blick hinter die Fassade. Durch die Drehbewegung wird es möglich, die Protagonisten bei ihren Gängen durch die Räume mitzuverfolgen. Und wenn sie von der Drehbühne in den Vordergrund treten, bleiben sie stehen, während die Szenerie weiterzieht.

Diese Räume sind durch massive Holzwände unterteilt, so dass die Sängerinnen und Sänger bei ihren Gängen ständig die schweren Türen auf- und zuschletzen, ja oft auch zuknallen müssen. Das kann einen mit der Zeit recht nerven. Und doch geht diese Drehbühnenidee voll auf. Szenenwechsel sind ein Kinderspiel, die Drehbewegung bekommt symbolische Kraft - alles dreht sich im Kreis - und die Protagonisten sind auf der Flucht vor dem Tyrannen viel in Bewegung. Um so bedrohlicher wirken dann auch die vermeintlich ruhigen, intimen Szenen im Schlafzimmer.

Gnadenlose Tempovorgabe

Auch William Christie setzt auf Bewegung und Tempo. Das auf historischen Instrumenten spielende hauseigene Orchester «La Scintilla» wurde nicht im Orchestergraben versenkt, sondern hochgefahren. Es reagierte subtil auf die körperbetont heftigen Bewegungen des Dirigenten, spielte im rasenden Tempo leichtfüssig und stringent und formulierte die Soli der Oboe d'amore und anderer Bläser genüsslich aus.

Doch die Koordination mit der Bühne machte einige Schwierigkeiten. Das lag vor allem an Christies gnadenloser Tempovorgabe, die recht unflexibel wirkte und die Sängerinnen gerne im Regen stehen liess. Kein Wunder, hinkten sie manchmal hinten nach, bei so viel Tempo, Bewegung und Spiel.

Kam dazu, dass Intendant Alexander Pereira vor der Premiere die Ankündigung machen musste, dass die beiden Hosenrollen-Sängerinnen, Marijana Mijanovic und Isabel Rey, am Mittag eine schwere Magenverstimmung bekamen. Doch beide hatten sich entschieden, trotz Übelkeit ihre auch physisch fordernden Partien zu singen. Isabel Rey hatte als abtrünniger Getreuer des Tyrannen, der unsterblich in Polissena verliebt ist, denn auch mächtig zu kämpfen, vor allem im ersten Teil. Sie hatte nicht nur deutliche Intonationsschwierigkeiten, sondern fiel einmal sogar fast ganz aus der Rolle. Nach der Pause aber fing sie sich gut auf und hielt bis zum Schluss durch.
Marijana Mijanovic hatte zwar ebenfalls etwas Mühe mit der Spannkraft des Zwerchfells, vermochte aber mit ihrem angerauhten, dunklen Timbre und der schlanken Stimmführung einen eigentümlich androgyn faszinierenden Radamisto zu vermitteln.

Starke Frauenstimmen

Als die betrogene Tyrannen-Gattin Polissena wusste Malin Hartelius den Zwiespalt zwischen Selbstachtung und Hörigkeit mit einer überzeugenden Farbpalette und Stimmkraft darzustellen. Die Szene, in der sie endlich zornentbrannt ihren Koffer packt, gehört in ihrem subtilen Humor zu den Höhepunkten dieser Inszenierung. Als Polissenas Gegenüber ist die Zenobia von Liliana Nikiteanu ein zwar zarteres, aber um so widerspenstigeres Geschöpf. Sie macht aus ihrer Abscheu vor dem gierigen Tyrannen keinen Hehl und wehrt sich mit Händen und Füssen gegen seine besitzergreifende Macht. Auch das ergibt ein quicklebendig schillerndes Frauenbild.

In dieser farbig temperamentvollen weiblichen Umgebung wirkt der Tenor Reinhard Mayr als Bösewicht Tiridate stimmlich nicht ganz so vielschichtig. Darstellerisch weiss er zwar mit ausdrucksstarker Gestik den Tyrannen zu stellen, bleibt sängerisch aber zu gleichförmig. Und Rolf Hauenstein gibt den alten Herrscher Farasmane in seinem kurzen Auftritt mit etwas gar gewaltiger Bassstimme.

Doch weiss Elizabeth Rae Magnuson in der Hosenrolle des zweiten Getreuen Fraarte mit witziger Leichtigkeit und pseudo-machohafter Männlichkeit subtile Komik zu setzen. Ihre Aufheiterungsszene für die vor dem Selbstmord gerettete Zenobia und die brillante Verschwörerszene mit Isabel Rey in der Toilette sind die Highlights dieser dunklen Tyrannen-Geschichte.