Eine Offenbachiade - helau!

Peter Hagmann, Neue Zürcher Zeitung (23.02.2004)

La Grande-Duchesse de Gérolstein, 21.02.2004, Zürich

«La Grande-Duchesse de Gérolstein» im Opernhaus Zürich

Zum Schiessen ist es, fürwahr, und zum Totlachen. Das Orchester der Oper Zürich ist diesmal als Militärkapelle verkleidet, und sein Dirigent Nikolaus Harnoncourt, in Galauniform mit Federbusch auf der Mütze, salutiert, wenn auch nicht eben zackig. Im Verlauf der mit Emphase dargebotenen Ouverture legt er Mütze und Jacke ab, doch wenn es so richtig militärisch wird und die auf der rechten Seite placierten Bläser aufstehen, stürzt auch er sich wieder in den Ornat. Zuvor aber tritt noch ein Krokodil auf, das zu den vier Teilen der Ouverture mit dem Schwanz wedelt oder mit den Zähnen fletscht; auch dieses Untier hält Harnoncourt im Zaum, jedenfalls kann er es dazu bewegen, den Laufsteg, der um den Orchestergraben gezogen ist, rechtzeitig zu verlassen. Hach, wie lustig ist das schon.

Doch jetzt wird es erst recht bunt, beginnt das Spiel auf der Bühne - und dort agiert, soweit es sich durchs tränende Auge erkennen lässt, ein General, der auf Rollschuhen durch die Szenerie kurvt und sich, bevor er in die Schlacht aufbricht, ein Plasticpferd unter den Arm klemmt. Weiter gibt es auf der Bühne jede Menge lüsterner Damen, was sich nicht nur in scharf fokussierten Blicken, sondern auch in sehr eindeutigen Handgriffen manifestiert. Ein dämlicher Edelmann, hörbar italienischer Abkunft, hat von der Wache eine Ladung Schrot abbekommen, weshalb er mit brennendem Hut auftritt. Wenig später mischt sich eine Schönheit ins Geschehen, die ihre langen Beine zeigt und mit George W. telefoniert - womit es aktuell und kritisch zugleich geworden ist. Tatsächlich schwingen die Soldaten, die inzwischen eingekleidet sind, die Fähnchen jener Nationen, die sich vor kurzem zu einer Koalition gegen einen «Schurkenstaat» verbunden haben. Die launigen Texte, die sich auf einem Schriftband quer über die Bühne schlängeln, lenken uns aber von allzu ernsten Gedanken ab; wenn wir wollen, dürfen wir auch per Handy unsere Meinung zum Geschehen zum Besten geben. Köstlich, einfach köstlich.

Zeitverschiebung

Nun denn, das Opernhaus Zürich hat sich erneut der Operette zugewandt. Und einmal mehr in der bewährten Kombination von Nikolaus Harnoncourt und seinem langjährigen Lieblingsregisseur Jürgen Flimm. Nach der «Belle Hélène» von 1994 (im Team mit Helmut Lohner) und der «Périchole» von 1998 gilt die Aufmerksamkeit jetzt der Opéra bouffe «La Grande-Duchesse de Gérolstein», die Jacques Offenbach sowie seinen beiden Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy 1867 in Paris und Wien einen doppelten Sensationserfolg beschert hat. Es geht da um eine nymphomane Herzogin in einem fiktiven Kleinstaat; um ihre Ziele zu erreichen, macht sie Soldaten zu Generälen und umgekehrt, und zur Seite steht ihr dabei ein ebenso lächerlicher wie einflussreicher und damit gefährlicher Hofstaat. Aus purer Laune und schierer Langeweile wird ein Krieg entfacht - den der rasant zum Oberbefehlshaber aufgestiegene Bürger mit dem nicht ganz unbezeichnenden Namen Fritz jedoch unterläuft, indem er ihn ohne einen einzigen Toten, dafür mit Unmengen Alkohol gewinnt. Was da in Schräglage gerät, wird am Ende freilich wieder zielstrebig ins Lot gerückt - wo kämen wir sonst hin.

Das subversive Stück, zur Pariser Weltausstellung kurz vor dem Deutsch-Französischen Krieg gegeben und von internationaler Prominenz beachtet, steckt voller Anspielungen auf die Tagesaktualität seiner Entstehungszeit, nicht zuletzt auf das Gebaren von Napoléon III. Was ihr damals Erfolg beschied, macht heute das Hauptproblem dieser Operette aus - denn wie können all die versteckten Zeichen an ein Publikum dieser Tage weitergegeben werden? Eins zu eins sind sie nicht mehr verständlich, und wenn sie durch andere, eben aktuelle Anspielungen ersetzt werden, beginnt es im Gebälk zu knirschen. Ohnehin leidet «La Grande-Duchesse de Gérolstein» an dramaturgischen Schwächen. Das Stück hebt mit einer unglaublich langen Exposition an (das erste Bild ist praktisch so lang wie die drei restlichen), und dann wird der Knoten ausgesprochen umständlich gelöst - kein Wunder, sah sich Offenbach selbst gleich nach der Uraufführung zu einer Reihe von Kürzungen veranlasst.

Auch musikalisch hält «La Grande-Duchesse de Gérolstein» vielleicht doch nicht ganz das Niveau der berühmt gewordenen Operetten Offenbachs - daran ändert auch der Umstand nichts, dass das Stück derzeit eine seltsame Konjunktur erlebt. Wie stets lässt Nikolaus Harnoncourt die Partitur fast überdeutlich ausspielen, was immer wieder zu frappanten Ergebnissen führt. Rau ist der Klang des Orchesters, wenn der Ton ins Militaristische kippt - dafür sorgen nicht zuletzt die eng mensurierten Blechbläser, die an die Pariser Praxis von damals anschliessen. Immer wieder aber auch: federnde rhythmische Energie, farbliche Souplesse, Flexibilität der Artikulation. Sehr schön, wie das Orchester und der (von Ernst Raffelsberger betreute) Chor im Walzer den Dreivierteltakt freilassen, wie behend die grosse Trommel das Geschehen grundiert, wie zart die mit wenig Vibrato agierenden Streicher die Melodramen unterlegen.

Kölnisch Fasching

Ganz im Gegensatz zu dieser differenzierten, die musikalischen Ebenen klar freilegenden Sicht setzt Jürgen Flimm voll und ganz auf den deftigen Paukenschlag - er sieht sich ja als Geistesverwandten des aus Köln nach Paris eingewanderten Komponisten. Von der Bühnenbildnerin Annette Murschetz hat sich der Regisseur nicht ein Feldlager, sondern eine Gerümpelkammer erbauen lassen, die mit allem gefüllt ist, was man sich nur denken kann - auch mit jenen Puppen, die nach und nach zu Leben erwachen, das Stück aufführen und am Ende wie der Rest der Requisiten entsorgt werden. Und die Kostüme von Birgit Hutter, sie statten die Figuren mit den überzeichnenden Zügen aus, die der Regisseur so liebt. Das Ensemble lässt sich von all dem freilich nicht beeindrucken. Marie-Ange Todorovitch gibt die Grossherzogin mit gutturalem Timbre und grossartiger Spannung auch im Leisen. Als der zu überraschenden Ehren gekommene Soldat Fritz trägt der an sich vorzügliche Tenor Christoph Strehl gerne etwas dick auf, während Martina Janková als Wanda wunderbaren Liebreiz verströmt. Carlos Chausson, der abgehalfterte und rehabilitierte General, sorgt nicht nur für vollen Ton, sondern beherrscht auch seine Rollschuhe. Dazu viel Wohllaut bei den Eminenzen im Hintergrund und den Hofdamen.

Szenisch wird aber keine Gelegenheit ausgelassen, dumm zu tun. Jeder Witz zweimal unterstrichen und dreimal repetiert. So merkt es jeder - oder am Ende keiner. Offenbach ist ein Meister des Andeutens, gerade auch musikalisch. In dieser Produktion von «La Grande-Duchesse de Gérolstein», die bei der Styriarte Graz im letzten Sommer erstmals gezeigt und nun nach Zürich übernommen worden ist, kommt das nicht zur Geltung; angesagt sind vielmehr Schenkelklopfen und Kreischen. So wird die Operette, deren zeitkritischer Ansatz in der jüngeren Vergangenheit neu entdeckt wurde, zurückgeführt auf das Niveau der luxuriösen Blödelei. Das ist nicht nur zutiefst restaurativ, es bleibt im Grunde auch eine einzige Peinlichkeit. Wegschauen ist jedenfalls dringend empfohlen. An der Premiere blieb die Stimmung fad; wenn gelacht wurde, dann eher auf der Bühne, und am Ende gab es spärlichen Beifall. Der Regisseur zog es vor, in den Kulissen zu bleiben.