Hommage an die Schweizer Bankenmetropole

Oliver Schneider, DrehPunktKultur (18.12.2006)

Ariadne auf Naxos, 16.12.2006, Zürich

Regisseur Claus Guth machte den Zürchern mit seiner Neuinszenierung von Richard Strauss' "Ariadne auf Naxos" ein wahrhaftiges Weihnachtsgeschenk.

"Ariadne auf Naxos" stellt höchste Anforderungen an die Ausführenden, gilt es doch die reale Handlung, die Mythenoper mit ihrer homophonen Tonsprache und die polyphone der Buffonerie für heutige Augen und Ohren glaubhaft auf die Bühne zu bringen. Der deutsche Regisseur hat sich entschieden, die realen Auseinandersetzungen im Vorspiel und das Gleichnishafte der Oper zu vermischen.

Theater im Theater ist bereits seine Devise für das Vorspiel. Die Vorbereitungen für die gleichzeitige Aufführung der Opera seria und der Opera buffa ereignen sich auf einer von weissen Vorhängen umgebenen Spielfläche. Dabei symbolisieren die Vorhänge das Theater, aber nicht irgendein Theater, sondern das Opernhaus Zürich. Statt den Haushofmeister darf Intendant Alexander Pereira sich selbst spielen. Im Mittelpunkt des Vorspiels steht aber der Komponist, ein idealer Künstler, dessen Leben sich fern der Realität abspielt. Durch Michelle Breedts Rollengestaltung wird dieser Komponist zum Ereignis dieser Neuinszenierung. Breedt weiss die facettenreiche Bandbreite ihrer warmen und fülligen Stimme zu nutzen. Mit bedeutungsvoller Emphase verteidigt dieser junge Mann die seiner Meinung nach wahre Kunst gegen die läppische Komödie und verliebt sich in seiner Weltfremdheit gerade in eine Komödiantin, die nur ihr Spiel mit ihm treibt. Ihm bleibt als Ausweg nur der Selbstmord.

Über den Komponisten stellt Guth auch die Verbindung zwischen dem Vorspiel und der illusionistischen Oper dar. In einem mit dunklem Holz getäfelten, eleganten Restaurant im Art déco-Stil sitzt eine trauernde Dame bei einer Flasche Rotwein an einem Tisch am Fenster: Ariadne. Noch ist sie der einzige Gast, und das Personal trifft die letzten Vorbereitungen vor dem Ansturm zum Business-Lunch. Doch ist es nicht irgendein Restaurant, das Ausstatter Christian Schmidt auf die Bühne gezaubert hat. Es ist die Kronenhalle, der traditionelle Zürcher Gastrotempel, in dem sich nicht nur Bankdirektoren und der Direktor des nah gelegenen Opernhauses wohl fühlen - für Claus Guth treten sie sogar auf der Bühne auf -, sondern vor ihnen schon James Joyce, Thomas Mann und Richard Strauss selbst.

Während sich das Restaurant langsam füllt, verfällt die exzentrische, allein sitzende Dame immer wieder in Träume an ihren toten Geliebten. In Zürich ist dies nicht Theseus, sondern der Komponist. Zerbinetta und ihre Entourage nehmen verschiedene Rollen in diesem Restaurant an; gehören sie zunächst zum Personal, so werden sie später zu ungehobelten Gästen. Zerbinetta ist eine Kokette im grünseidenen Kleid, keine wirkliche Dame. Ihre vier Begleiter bitten Ariadne an den Tisch, reichen ihr ihre Visitenkarten. So gehört es sich heute. Doch bei Ariadne ist das zwecklos. Später schlüpfen sie in die Rolle von Halbstarken, die für eine Prügelei sorgen, so dass sich das Lokal leert.

Während Ariadne ihrem Leben mit Tabletten ein Ende setzt, tritt Bacchus als neuer Gast ein. Doch die bis hierhin spannende psychologische Deutung erfährt an dieser Stelle einen Bruch. Denn warum muss durch Weintrauben und Feuer im letzten Moment noch die griechische Mythologie ins Spiel gebracht werden? Ganz am Ende beglückwünschen Hausherr Pereira, der aus welchem Grund auch immer blinde Musiklehrer und der Tanzmeister dann noch Ariadne und Bacchus mit Rosen und Küsschen zu ihrem Erfolg. Also ist auch das Restaurant nur ein Ort der Illusion? Claus Guth entlässt den Zuschauer mit einigen offenen Fragen.

Musikalisch bietet diese Neuinszenierung Kulinarisches vom Feinsten. Emily Magee verleiht der Ariadne mit ihrem leuchtenden Sopran, dem breiten Fundament und vor allem der hervorragenden Diktion ein ausdrucksstarkes Profil. Roberto Saccà debütiert als Bacchus und schlägt sich achtbar in der undankbaren Partie. Den nötigen metallischen Glanz besitzt seine Stimme heute, leider gibt er häufig zu viel Druck. Michael Volle bietet als Musiklehrer noblen Schöngesang. Und die Zerbinetta von Elena Mosuc? Sie singt die Rolle ohne Fehl und Tadel, zelebriert in ihrer Arie barocken Bravourgesang mit blitzblanken Koloraturen. Jedoch fehlt ihr (noch) das letzte Quäntchen für eine wirklich herausragende Zerbinetta. Darstellerisch überzeugt sie nur im Vorspiel, wenn sie im Gespräch mit dem Komponisten Ernsthaftigkeit an den Tag legen darf. Für den zweiten Teil fehlt ihr das komische Talent.

Am Pult des konzentriert agierenden Orchesters steht Christoph von Dohnányi. Er geht das Werk mit einem energischen Zugriff - wenn auch einer gewissen norddeutschen Kühle an - und sorgt für einen ausbalancierten Orchesterklang. Kapellmeisterlich im besten Sinne des Wortes.