Susannas Hochzeit

Hanspeter Renggli, Der Bund (18.11.2006)

Le Nozze di Figaro, 16.11.2006, Bern

«Le nozze di Figaro»: Der anregende Beitrag des Stadttheaters Bern zum Mozart-Jahr

Mozarts «Le nozze di Figaro» in Stephan Müllers Regie: agil, unterhaltsam und sängerisch brillant mit einigem Klappern aus dem Orchestergraben.

«Le nozze di Susanna»! Stephan Müller «korrigiert» kurzerhand auf dem Zwischenvorhang den Titel, indem er Figaro durch Susanna ersetzt - und bringt den Kern der Sache gleich zu Beginn auf den Punkt. Hätte damals die Komödie von Caron de Beaumarchais, die Vorlage des Librettisten Da Ponte, nicht ein derart starkes Gewicht gehabt, Mozart hätte vielleicht sein Stück umbenannt.

Es ist eben Susanna, der die Fäden der Intrige (fast) nie entgleiten. Sie weiss, dass sie das Jagdobjekt des nach aussen sich aufgeklärt gebenden, in Wirklichkeit aber eitlen und krankhaft eifersüchtigen Grafen ist und dass ihre Hochzeit nur über dessen Blossstellung wahr werden wird. In Anne-Florence Marbot, die im Theater Biel Solothurn ihren Spielwitz, ihre Agilität und sängerische Sicherheit unter Beweis gestellt hat, engagierte das Stadttheater denn auch eine ebenso unbestritten charmante wie hervorragende Susanna.

Rollenprofile

Müller schafft pointierte Profile, was aufgrund der Besetzung unterschiedlich gelingt. Die Rücksichtslosigkeit und Selbstverliebtheit des Grafen füllt Rudolf Rosen auch stimmlich trefflich. Köstlich die bewusst gestylte Mimik und sängerische Eigenwilligkeit von Chiara Chialli als Cherubino, dem glücklicherweise das Naiv-Kindliche, das die Konvention der Figur eingestempelt hat, genommen wird. Simone Nold hat eine sehr schöne, helle, bestens kontrollierte und allenfalls in der Höhe etwas enge Stimme. Die Gräfin ist ebenso wenig eine ältere Frau wie Strauss’ Marschallin, auch wenn manche Heroinnen der Opernbühne dieses Bild vermittelt haben mögen.

Hold verbindet die Achtung ihrer gesellschaftlichen Rolle und ihre Jugendlichkeit exzellent. Leider mangelt es den schönen Gesangslinien - trotz zauberhaften Zurücknahmen ins Piano - ein bisschen an jener Spannung, aufgrund derer ihre Cavatine und Arie jeweils wie Inseln im Sturm etwas Transzendentes erhalten. Müllers Figaro ist zweifellos kein Held und aus der Rolle des rechten Intriganten fällt er ständig. Tuomas Pursio verkörpert diese Rolle mit viel Bewegung, bleibt aber, auch sängerisch, etwas gar gewöhnlich. Neben Eliseda Dumitru, die als Marcellina durch Ausstrahlung und stimmliche Anpassungsfähigkeit gefällt, fallen die übrigen, vor allem kleineren, Rollen deutlich ab.

Vertrauen auf die Musik

Dass die Berner Inszenierung bei aller Spritzigkeit eher brav bleibt, mag an Müllers behutsamem Umgang mit den Sängern liegen. Müller vertraut dem eigentlichen Medium dieser vielleicht raffiniertesten und vielschichtigsten Musikkomödie, die je geschrieben wurde. Er hat den Mut, die Bewegungen in den Ensembles auch mal ruhen zu lassen und allein auf Mozarts musikalische Regie, die von wechselnden Konstellationen sprüht, zu hören, und ist nicht darauf erpicht, ständig neue Geschichten zu erfinden. Vielleicht verspricht die Inszenierung mit dem Effekt des Beginns, der Projektion des skandalträchtigen Corbet-Bilds «L’Origine du monde» und des Protests «Nozze adesso» der Chorfrauen aus dem zweiten Rang, etwas mehr, als die Produktion zu halten vermag. In sich geschlossen ist sie jedenfalls, und ihre Sympathie für die Musik ist unübersehbar. Das ist nicht wenig! Und das Premierenpublikum hat dies zu schätzen gewusst.

Hyun Chu hat mit einer Mischung aus abstrahierter barocker Fluchtarchitektur und modernem Design ein ebenso einfaches wie sinnträchtiges Bühnenbild geschaffen. Aus der Enge des Dienerzimmers, dem man sichtlich nur mit Mühe entfliehen kann, öffnet sich schrittweise der Raum. Die erotische Anspielung bleibt indessen - ohne aufdringlich zu werden - in allen Konstellationen des Raums offensichtlich. Auch Mechthild Feuerstein (Kostüme) spielt gleichzeitig mit historisierenden, modernen und spanischen Elementen, so dass optisch ein Ganzes entsteht.

Pauschale Leitung

In Mozarts Komödien finden die vielen und überraschenden Situationswechsel ihren eigentlichen Rückhalt vor allem im Orchester, dem ebenbürtigen Partner des Bühnengeschehens. Bei allen Qualitäten des Berner Symphonie-Orchesters, das lockende, markante Bläserfiguren und ein hohes Mass an Streicherbrillanz demonstrierte, krankt die Produktion an der Leistung aus dem Graben. Daniel Inbal verschenkt beinahe alle Spannungswechsel, insbesondere in den beiden Finali. Im ersten Terzett läuft das schnelle Tempo ohne Rücksicht auf die überdeutlichen Kontraste geradeaus, im Sextett geht die Kontrolle fast vollständig verloren. Mozarts «Figaro» lässt sich nun mal nicht mit immer gleichförmigen pauschalen Handbewegungen leiten.

Fazit: Der Berner «Figaro» ist eine schöne, eigenwillige, agile und sängerisch teils hervorragende Produktion zum Mozart-Jahr, die jedoch aus dem Orchestergraben mehr Profil erhalten müsste.