Roger Cahn, Blick (15.12.2003)
Nach der Generalprobe meldet sich Eva Johannsson als Elektra krank. Janice Baird, eine junge Amerikanerin, springt ein, ohne Proben. Einfach wahnsinnig. Das Premierenpublikum dankte mit Begeisterung.
Mit ihrer Oper schaffen Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss das Bühnenmonster Elektra, eine junge, nach Rache dürstende Frau. Ihre Mutter erkennt die Gefahr und sperrt sie ein. Jetzt hat Elektra nur noch ein Ziel vor Augen: ihre Mutter zu töten, um den Mord am Vater zu sühnen. Als Instrument für die Bluttat setzt sie auf Bruder Orest. Der taucht, obwohl als tot gemeldet, auf. Am Ende herrscht das nackte Grauen.
Die Leistung der einspringenden Sopranistin Janice Baird als Elektra ist nicht hoch genug zu bewerten. Ihre Elektra ist eine provozierende und pubertierende Göre, bereit, das Spiel zum Äussersten zu treiben, Opfer und Täterin in einer Person. Gegenspielerin ist ihre Mutter Klytämnestra - Mariana Lipovseks Interpretation der Täterin, die in ständiger Angst lebt, selbst zum Opfer zu werden, ist der künstlerische Höhepunkt des Abends.
Regisseur Martin Kusej konzentriert sich auf die Innenwelt der Figuren und zeigt eine Mischung aus Tollhaus und Gefangenenlager. Eine Flut von Bildern und gespenstischen Visionen, unterbrochen von Momenten absoluter Leere prasseln zwei Stunden pausenlos aufs Publikum nieder. Die Personenführung kann durch die kurzfristige Umbesetzung nicht schlüssig beurteilt werden.
Wahnsinnig ist auch die Musik: Vom ersten Ton an herrschen Spannung und Entsetzen. Dirigent Christoph von Dohnányi setzt die Akzente, Orchester und Sänger geben alles.
Fazit: So wahnsinnig faszinierend kann Oper sein.