Kaputte Welt, kaputte Carmen

Hans Uli von Erlach, Zürich Express (24.06.2002)

Carmen, 22.06.2002, Zürich

Nix España folclórica, nix Sevilla, nix Arena, Bodega oder Zigeuner. Zürichs neue Carmen kommt ohne Klischees aus. Das bleibt aber schon die einzige Ambition von Regisseur Peter Mussbach. Sänger und Chor führt er auf höchst biederem Niveau. Er streicht auch jede Atmosphäre, jede Ausstrahlung der Figuren. Und die Musik ignoriert er. Die darf, Georges Bizet dankts, im Original erklingen, spanisch-französisch eben. Oder was Dirigent Michel Plasson davon übrig lässt. Er haut martialisch aufs Orchester ein, schnaubt und stöhnt, dass es bis in die letzte Reihe stört.
Die Bühne ist eine dunkle Betonkatakombe mit Oberlichtern, vielleicht auch eine leere Tiefgarage: eine kaputte Welt. Dank undefinierbaren Betonpodesten lenken die Sänger ab von dem, was sie singen. Ein Ungetüm von schwarzem Gaskessel oder Öltank fährt hie und da unmotiviert von rechts nach links und zurück. Weil zuweilen der Chor darin versteckt ist, haben wir es wohl mit einem singenden Gaskessel zu tun.

Ponelle bleibt auf der Strecke

Alle Kostüme sind schwarz: Escamillo (Michele Pertusi) trägt eine Art Torrerokostüm. Lächerlich und feuerbegleitet wie ein Pseudo-Mephisto. Unvorteilhaft wie eine Puffmutter gekleidet, führt Luciana d'Intino vor allem ihr erstaunliches Vokalorgan vor, vorwiegend mit Bruststimme. Keine Carmen! Elena Prokina gibt der Michaela die Stimme einer Tosca. Überzeugend: Martina Jankova und Irène Friedli als Frasquita und Mercedes und die Herren Will, Zysset, Kalman und Murga. Highlight der Premiere war Julian Gavins José, berührend, kraftund schmelzvoll. Er ersetzte den erkrankten Neil Shicoff, der ab der zweiten Vorstellung singen will. Hoffentlich gibt es keine ...

Auf der Strecke bleibt der geniale Regisseur Jean-Pierre Ponnelle. Er hat in den 70er-Jahren, mit Mozart, Monteverdi und Carmen, den Weltruhm der Zürcher Oper mitbegründet. Hier wird er definitiv und vorsätzlich umgebracht.