Beat Glur, Berner Zeitung (24.06.2003)
«Die Entführung aus dem Serail» erntete Applaus für die musikalische Leistung und Buhs für die Regie.
Im Rahmen der Zürcher Festspiele ist am Sonntag Mozarts «Die Entführung aus dem Serail» zur Premiere gekommen, und das Publikum war sich weit gehend einig: Eine rundum würdige Festspiel-Produktion ist das nicht. Regisseur Jonathan Miller und die Bühnen- und Kostümbildnerin Isabella Bywater wurden massiv ausgebuht. Zu Recht: Die Regiearbeit ist kaum zu spüren, das einfache Bühnenbild wirkt beliebig, und die aufwändigen Kostüme erschöpfen sich in wenig plausiblen Folklo rismen.
Im Mittelpunkt der Aufführung steht für einmal nicht ein Sänger oder eine Sängerin, sondern der grosse österreichische Theater- und Filmschauspieler Klaus Maria Brandauer. Er hat die Sprechrolle des Bassa Selim übernommen, aus dessen Serail Belmonte seine Geliebte Konstanze entführen will.
Jedesmal, wenn er auf der Bühne ist, scheint alles um ihn herum stillzustehen. Brandauer bringt einen Hauch grosse Theaterluft auf die Opernhaus-Bühne. Nicht nur seine Worte beeindrucken, sondern vor allem seine Gestik, seine Bewegungen, seine Präsenz. Er steht, trotz seiner spärlichen Auftritte, im Zentrum der Aufführung. Neben ihm verblassen seine fünf Mitspieler.
Einzig die junge Französin Patricia Petibon als Kammermädchen Blonde vermag mit einer eigenen Rollengestaltung zu überzeugen. Ebenfalls überzeugend singen Malin Hartelius als Konstanze und Piotr Beczala als Belmonte. Darstellerisch jedoch bleiben beide blass. Als Ersatz für den erkrankten Franz Welser-Möst stellt sich der junge deutsche Dirigent Christoph König erstmals dem Zürcher Publikum vor. Er dirigiert engagiert und präzise. Sein Kontakt mit der Bühne hingegen ist nicht immer optimal.
Insgesamt zeigt Zürich als erste Festspielpremiere im Opernhaus eine solide musikalische Leistung in einer Inszenierung, die nicht die Handschrift eines Regisseurs trägt, sondern dominiert wird vom Theaterstar Brandauer.
Dem Schausspieler gelingt, in der berühmten Marternarie, nicht nur fast die Verführung der geraubten Konstanze, sondern, im emotionalen Höhepunkt des Abends, auch die des Publikums. Brandauer konnte am Premieren-Sonntag übrigens seinen 60. Geburtstag feiern.