Alfred Zimmerlin, Neue Zürcher Zeitung (24.09.2002)
Wolf-Ferraris «Quattro rusteghi» im Zürcher Opernhaus
Etwas verstaubt ist sie schon, Ermanno Wolf- Ferraris Goldoni-Oper «I quattro rusteghi», welche das Opernhaus Zürich nach fast vierzig Jahren Pause in einer neuen Inszenierung aus der Versenkung auf die grosse Bühne holte. Dank Wortwitz, dem köstlichen venezianischen Dialekt, Karnevalsstimmung und einigen pikanten musikalischen Einfällen bietet sie immerhin pure Unterhaltung: Über den Kampf der Geschlechter kann bekanntlich immer gelacht werden. Carlo Goldonis vier Grobiane sind vier venezianische Macker - oder besser drei plus ein Pantoffelheld. Sie tyrannisieren Frau und Kinder, alle haben zu gehorchen. Doch treiben es die Herren dann doch so arg, dass die Frauen unter der Leitung Felices einen Aufstand veranstalten. Es gibt gewaltig Krach, die Grobiane geben klein bei, und das Stück schliesst mit einer Hochzeit. Eine nette Komödie also. Aber die Dimension, die sie zu einer guten Komödie machen würde, hat sie nicht. Man lacht und merkt: Die Sache lässt einen dennoch kalt. Kein Falstaff, kein Barbiere, kein Figaro. So verwundert es nicht, dass solche operettenhaften Jahrhundertwende-Stücke langsam, aber sicher von den Spielplänen der grossen Häuser verschwinden.
Das Bühnenbild von Luigi Perego spricht an, denn es vermittelt ganz die venezianische Atmosphäre, wie wir sie aus dem Museum kennen. Canaletto lieferte Vordergrund und Horizont. Ein Gemälde, so gross wie der Guckkasten der Bühne, entpuppt sich als eine einfache Konstruktion von vier ineinander geschachtelten, massiven Toren. Sie lassen sich öffnen und können so - je verschieden arrangiert - den Raum der Bühne gemäss den Erfordernissen gliedern und Durchblicke zum Horizont öffnen. Das ist schön gemacht und wirksam. Wenn am Schluss alle Elemente zur Seite bewegt werden und sich bei «Der Himmel segne euch» die Weite des Himmels öffnet, fühlt man sich sogar für einen Moment vom Mief des Schwanks befreit.
Die Inszenierung von Grischa Asagaroff ist dagegen nicht so beschaffen, dass sich das Stück für die Gegenwart erschliessen würde. So wie das beispielsweise vor einem halben Jahr Cesare Lievi mit Rossinis «Turco in Italia» getan hat. Asagaroff stellt die «Rusteghi» mit ausgezeichnetem Handwerk und ohne besondere Ansprüche auf die Bühne, erweckt die Figuren zum Leben. Die Damen stampfen im richtigen Moment mit den Füssen oder zappeln auf dem Sofa. Die Herren rauchen Pfeife, üben sich in der Haltung des Patriarchen und werfen notfalls die Hände in die Höhe. Turbulente Szenen wie das Finale des zweiten Aktes oder der Auftritt von Felice im dritten Akt werden gekonnt gezeigt. Die Likörkaraffe im Hintergrund erhält ihr eigenes kleines Geschichtchen - et cetera. Schön ist der Einfall, eine pantomimische Commedia-dell'Arte-Truppe (Statistenverein) ins Stück zu integrieren. Sie gibt schon der Ouverture zusätzlichen Reiz, sorgt für den Umbau der Bühne, den Transport der Requisiten und demontiert die Szene jeweils im richtigen Moment. Das hübsche Intermezzo am Schluss des ersten Aktes wird zur Pantomime mit Colombina in der Gondola und mit Arlecchino, der ihr eine Rose überreicht. Erstaunlich, dass in diesen von Luigi Prezioso geschaffenen Pantomimen - auch in der Schlussszene - das Stück letztlich mehr berührt als mit allen Verwicklungen der eigentlichen, doch etwas faden Handlung. Wolf- Ferraris Musik hat mitunter Delikatesse, Witz, ist spritzig und unterhaltsam. Aber als Ganzes auch kleinmeisterlich. Ein historisches Stück also, eng verbunden mit dem bürgerlichen Milieu seiner Entstehungszeit. Ein Theater, bei dem sich das Publikum gut amüsieren kann, das niemandem weh tut - und das gerade deshalb auch etwas zum Gähnen verführt.
Wolf-Ferraris Spezialität, die Komposition von guten und dicht-virtuosen Ensembles, war bei den zehn Protagonistinnen und Protagonisten in guten Händen. Alle Rollen sind dankbar. Die Bariton- und Bassstimmen der vier Herren Roberto Scanduzzi (Lunardo), Paolo Rumetz (Maurizio), Carlos Chausson (Simon) und Giuseppe Scorsin (Cancian) passen wunderbar zusammen, das Komödiantische kommt an. Ebenso erfreuen kann man sich an den entsprechend ihrem Rollencharakter glänzend besetzten Damen mit Elizabeth Rae Magnuson als quirliger Intrigantin Felice, Stefania Kaluza als Marina, Katharina Peetz als Margarita und Martina Janková als Tochter Lucieta. Maurizios Sohn Filipeto (Luigi Petroni) und Felices Galan, der Conte Riccardo (Peter Straka), dürfen tenoral verführen. Maestro Nello Santi streicht am Dirigentenpult zusammen mit dem Orchester der Oper Zürich in Wolf-Ferraris Musik ganz den italienischen Charme und das Leichte heraus und stellt die Nähe zu italienischen Vorbildern wie selbstverständlich her. Er dirigierte die «Rusteghi» zum ersten Mal, doch scheint das Musik zu sein, die ihm liegt und sichtlich Vergnügen bereitet. Umso mehr, als er am Premierentag gleich auch seinen (71.) Geburtstag feiern konnte, was den Intendanten Alexander Pereira und das Ensemble zu einer überschwänglich zelebrierten Coda mit Champagner auf der Bühne inspirierte.