Berlusconi und der Graf

Tobias Gerosa, St. Galler Tagblatt (25.09.2006)

La Périchole, 23.09.2006, St. Gallen

«La Périchole» am Theater St. Gallen: handwerklich und inhaltlich unbedarft – Lichtblick nur im Orchester

Der Applaus war gross am Samstagabend im Theater und das, obwohl auffallend viele Sitze leer geblieben waren. Der Spielplantrick, zwei Operetten im Opernprogramm zu führen, dürfte nicht funktionieren, wenn sie so inszeniert werden wie Offenbachs «Périchole».

«La Périchole» in der dreiaktigen Fassung von 1874 spielt zwar im fernen Peru, aber klar aus Gründen der Zensur. Im Vizekönig, der in St. Gallen zum Presidente oder Cavaliere umbenannt wird, nahm Offenbach mit einigem Biss die Monarchien seiner Zeit ins Visier und demontierte sie, indem er sie der Lächerlichkeit preisgab. Das Regieduo Ulrich Michael Heissig und Thomas Engel, das bisher vor allem mit Kabarett-Abenden bekannt war, versetzt die Handlung kaum versteckt ins Italien des ausgehenden 20. Jahrhunderts, regiert von einer Partei namens «Forza Lima!». Wo Offenbach allerdings demaskiert und satirisch karikiert, verharmlost die St. Galler Inszenierung zu blosser Putzigkeit und bleibt handwerklich und inhaltlich erschreckend unbedarft.

Simple Pointen und Spässchen

Dabei böte die Handlung durchaus zeitlos aktuelle Anknüpfungspunkte: Der Vizekönig mischt sich unters Volk, um seine Popularität zu testen. Allerdings wissen das längst alle, ausser den Strassensängern Piquillo und Périchole. Als Superman verkleidet verliebt sich der Presidente in Périchole, muss sie aber verheiraten, bevor er sie in seine Residenz nimmt, weil das die Verfassung verlangt. Natürlich wird der sturzbetrunkene Piquillo als Pseudo-Ehemann aufgelesen, nach der Hochzeit eingesperrt und schliesslich von Périchole befreit und ab so viel Liebe wird grosszügig vergeben. Heissig/Engel suchen darin die simplen Pointen und nahe liegendsten Spässchen und bedienen ohne jede Ironie Klischees. In einem seine Herkunft von der Showtreppe kaum verbergenden Einheitsbühnenbild, das lediglich mit verschiedenen Abdeckungen arbeitet (Dirk Immlich), vollführt der bunt gewandete Chor stereotype Bewegungsmuster vom Fähnchenschwingen bis zum Marschieren. Nichts jedenfalls, was vom Singen abhalten würde. Trotzdem häufen sich rhythmische und textliche Ungenauigkeiten, ganz zu schweigen, wie wenig Spritzigkeit und stilistisches Bewusstsein er musikalisch vermittelt.

Dialoge zu lang

Überhaupt fehlt es der Inszenierung an Rhythmus und über musikalische Logik und Struktur setzt sie sich einfach hinweg. Viel zu lang sind die extra geschaffenen deutschen Dialoge geraten und viel zu wenig genau in die Musik eingepasst – gerade das müsste man von Musik-Kabarett-Regisseuren doch eigentlich erwarten. Vor allem Bodo Schwanbeck, der noch den Tevje mit Stil und genauem Wissen um Timing gibt, neigt als Presidente zu pathetisch gesprochenem Ausufern. Wo in der Musik ein aus der Sprache gestaltender Giftzwerg gefordert wäre, gibt er einen fast sympathisch tapsenden Bären mit kleinen Französischkenntnissen. Dazu kommt, dass ihn die Rolle sängerisch überfordert.

Drei Mal tritt Jacques Offenbach persönlich auf: Wie das Revuegirl-Ballett reiner Kitsch ohne jede Einbindung. Die drei Cousinen kämpfen mit der Sprache wie ihren hohen Absätzen, das Polizistenballett im dritten Akt erreicht gar Turnerchränzchen-Niveau. Immerhin wird die Chose mit dem absurden Grafen von Monte Christo (Matthias Flückiger) im Gefängnis des dritten Aktes so überdreht, dass es doch noch etwas lustig wird.

Offenbach und die Solistinnen und Solisten haben es unter diesen Voraussetzungen schwer. Neal Banerjee als Piquillo konnte sich wegen einer bei der Hauptprobe zugezogenen Verletzung ganz aufs konzertante Singen an der Rampe konzentrieren, während Co-Regisseur Engel seine Rolle mimte (und dabei eine unfreiwillige stumme Parodie des Operngesten-Repertoires lieferte). Trotzdem blieb Banerjees vokales Ausdrucksspektrum eng, auch wenn die hohen Töne gellend, aber sicher kamen. Karine Motyko, die einzige Französischsprachige des Ensembles, nutzt diesen Vorteil und gefällt mit ihrem warmen, klaren Mezzo. Sie wirkt aber szenisch wie musikalisch allzu reserviert. Nur gerade in der Griserie geht sie gestalterisch etwas über sich hinaus.

Orchestraler Energieschub

Bleibt immerhin ein grosser Pluspunkt der Aufführung: Dirigent Sébastien Rouland und das Sinfonieorchester St. Gallen. Wo die Inszenierung über die Struktur der Opera bouffa hinweggeht, sorgt Rouland dafür, dass sich die Musik einer gelungenen Mischung von romantischem Melos und spritziger Prägnanz ihren Platz immer wieder erkämpft. Seinen Werdegang als Assistent von Marc Minkowski kann (und soll) Rouland nicht verbergen. Die Steigerungen sitzen und dabei bleibt der Klang immer schlank und elastisch. Der orchestrale Energieschub in den Ensembles wäre da.