Ein bisschen Pfeffer, eine Prise Salz

Elisabeth Feller, Aargauer Zeitung (24.09.2002)

I quattro rusteghi, 22.09.2002, Zürich

«I Quattro Rusteghi» Famos: Wolf-Ferraris Commedia musicale am Opernhaus Zürich.

Auch das gibt es im Theater, nicht immer zwar, aber immer öfter, um kalauernd eine Werbung zu bemühen - jene dramaturgischen Werkbindungen, die sinnstiftend einen Bogen vom Erwarteten zum Unerwarteten schlagen. Zum Beispiel von Strauss´ «Schweigsamen Frau» (um Ersteres anzutippen) zu Ermanno Wolf-Ferraris «I Quattro Rusteghi» (um Letzteres anzusprechen): Eine Erquickung, die Strauss, den Meister des rezitativischen Parlandos, schachmatt setzt. Weswegen? Ganz einfach: Weil der Deutsch-Italiener eine, notabene ungewohnte Orchestereinwürfe erprobende Tonsprache ins Spiel bringt, die Strauss´ Raffinement bisweilen sogar noch übertrifft.

In der Tat: Will man jetzt den Gemeinsamkeiten, vor allem aber den Unterschieden zwischen den beiden Komponisten auf die Spur kommen, ist ein Gang ins Opernhaus Zürich unentbehrlich. Denn dort wird einem bewusst, was handwerkliche Gediegenheit, ja Souplesse meint: bei Wolf-Ferrari die filigranen Duette und weitgesponnenen, melodietrunkenen Ensembles sowie ein Orchesterklang, der Üppigkeit für sich in Anspruch nimmt, obschon der Komponist die Besetzung auf Sparflamme hält. Grad so, als wollte er augenzwinkernd beweisen, dass die Kunst eben nur einer Maxime verpflichtet ist: «Mach viel aus wenig.»

Dass sich an dieses Motto auch das Inszenierungsteam mit Grischa Asagaroff (Regie), Nello Santi (Dirigent), Luigi Perego (Ausstattung), Hans-Rudolf Kunz (Licht) sowie Luigi Prezioso (Pantomime) hält, ist ihm hoch anzurechnen: weil so «schlank» bleibt, was auch der Komponist ohne Fett, dafür gut gewürzt haben wollte: eine launige Commedia musicale, deren Librettist Giuseppe Pizzolato sich an Goldonis gleichbetitelter Commedia dell´arte entzündet hat. Der Inhalt? Fast ein Nichts; jedenfalls ein Geschlechterzwist zwischen vier Grobianen und vier Frauen (indessen ohne Strindbergs Attacke, weswegen Lachen ausdrücklich erwünscht ist) sowie eine Liebesgeschichte mit glücklichem Ausgang (wen wunderts?). Solches entbehrt nicht der hier übrigens in venezianischem Dialekt geäusserten Pikanterie und Galanterie; verträgt somit nicht den geringsten Druck. Deswegen steht ein Regisseur vor der ebenso reizvollen wie heiklen Aufgabe, diese Oper als zwar bezaubernd schillernde, aber leider (zu) rasch zerplatzende Seifenblase zu inszenieren. Nochmals: Beschwernis ist «out», Duftigkeit ist «in»! Ergo besinnen sich Asagaroff und Perego auf einen Maler, den Venedig-Liebhaber hoch im Kurs halten: Canaletto. Also flugs einige der berühmten Panoramen auf Stellwände geworfen; flugs eine blaue, weiss gekräuselte Spielfläche sowie Versatzstücke wie Tisch, Sofa, Stühle und Haushaltübliches her; flugs eine Reverenz an Goldoni mit pantomimisch das Geschehen begleitenden Arlecchinos, Brighellas und Pantalones - und schon sind wir in die wünschenswerte «Dimension» entrückt; auch, weil Asagaroff den Raum mit spielerischem Aplomb erobert. Will heissen: ihn mit rasanten Auftritten und Abgängen versieht; mit aufeinander zustrebenden und auseinander stiebenden Paaren sowie mit der kurzen Verweildauer gestresster Personen wie dem humorlosen Lunardo. Dergestalt «angerichtet» erweist sich das Regiekonzept als schlüssig und bekömmlich. Was selbstredend auch für Nello Santis Dirigat zutrifft, das sich Wolf-Ferraris orchestrale Rhetorik glattweg phänomenal aneignet. Nur einer, der sich wie Santi ebenso mittendrin wie ausserhalb der «Sache» fühlt, kann zudem noch jenes Quentchen Extra-Glut entfachen, das den Abend zum rundum Erfreulichen adelt. Mit Nello Santi ziehen am selben Strang: Roberto Scandiuzzi, Katharina Peetz, Martina Jankova, Paolo Rumetz, Luigi Petroni, Stefania Kaluza, Carlos Chausson, Giuseppe Scorsin, Elizabeth Rae Magnuson, Peter Straka und Tamara Gura. Bravi!