Hans Uli von Erlach, Zürich Express (27.01.2003)
Sein erstes Oratorium «Il Trionfo del Tempo e del Disinganno» begeisterte im Opernhaus
Mit der szenischen Aufführung des Händel-Oratoriums «Il Trionfo del Tempo e del Disinganno» (Der Sieg der Zeit und der Desillusion) gelang dem Opernhaus wohl der Höhepunkt der bisherigen Saison. So berauschend und gleichzeitig glaubhaft nahe an menschlichem Empfinden kann Barockoper klingen. Dirigent Marc Minkowskis Klang ist nie spröde, bleibt immer voluminös und warm. Er holt aus dem mit Verve musizierenden Orchester La Scintilla und dessen exzellenten Solisten ein selten gehörtes Spektrum von Nuancen hervor. Die Zusammenarbeit zwischen ihm und den Musikern war eine der Sternstunden an der Premiere.
Die zweite war Jürgen Flimms geniale Inszenierung, zusammen mit Erich Wonders ebensolchem Bühnenbild und mit Florence von Gerkans Kostümen. Der junge Händel vertonte den Text des römischen Kardinals und Opernfans Benedetto Pamphilj als Oper - freilich als Oratorium «maskiert», um damit das damalige Opernverbot im päpstlichen Rom zu umgehen.
Entstanden ist eine musikalisch und inhaltlich packende Parabel zwischen den vier Personen Bellezza, Piacere, Disinganno und Tempo (Schönheit, Vergnügen, Enttäuschung und Zeit). Flimm bringt sie als Menschen aus Fleisch und Blut auf die Bühne, und er stellt sie in die heutige Zeit: Der Abend spielt in einem der grossräumigen, eleganten Bar-Restaurants, wie sie heute überall chic sind. Orte, wo die Schönheit im äusserlichen Vergnügen gesucht wird. Bis zur Erkenntnis, dass echte Schönheit sich nur in der Wahrheit findet.
Das vierköpfige Ensemble ist die dritte Sternstunde. Isabel Rey zeigt als blonde Lebedame grossartig die Wandlung von der vergnügungssüchtigen Schönheit bis zur Entsagenden. Und sie findet mit hellem, ungekünsteltem Sopran wunderbar gestaltete Töne. Als ihre Verführerin Piacere findet Cecilia Bartoli ein ideales Spielfeld für ihr ausdrucksstarkes Bühnentemperament und ihre atemberaubenden stimmlichen Facetten. Ihre Piani der Mittellage sind und bleiben hinreissend. Die rasenden Koloraturhöhen sind, vor allem in jenen Höhen, die nicht für sie und ihr schmales Stimmvolumen gemacht sind, zirzensische Kunststücke, produziert, als wäre es eine olympische Disziplin. Mit elegantem, agilem und hellem Tenor überzeugt Christoph Strehl als Il Tempo die oberflächliche Schönheit von ihrer Vergänglichkeit. Verführerisch auch er, jedoch auf die ernste Art. So wie Marijana Mijanovic als II Disinganno, die Desillusion. Ihre Darstellung und ihr in seiner Dunkelheit farbenreicher und makellos geführter Alt gehören zu den Entdeckungen des Abends.