Zwei Königinnen, zwei Primadonnen

Herbert Büttiker, Der Landbote (09.12.2002)

Maria Stuarda, 07.12.2002, Zürich

Die Rivalität zweier Königinnen ist Thema von Donizettis «Maria Stuarda». Im Opernhaus gaben sich am Schluss vor dem Vorhang zwei junge Sängerinnen Küsschen und freuten sich gemeinsam über ihren Erfolg.

Das ist nicht selbstverständlich. In einer Probe vor der Uraufführung in Neapel, 1834, gerieten sich die beiden Darstellerinnen wirklich in die Haare. Allerdings war es dann die Zensur, die weitere Königinnenkämpfe auf der Bühne verhinderte. Die Oper konnte nur in einer Bearbeitung als «Buondelmonte» mit der Rivalität zweier florentinischer Damen aufgeführt werden. Ein Jahr später an der Scala gab es wieder Komplikationen in der Besetzung. Die Interpretin, die neben der berühmten Maria Malibran die Elisabetta hätte singen sollen, gab die Rolle zurück, die ihr mit nur einem Terzett im Schlussakt zu unvorteilhaft ausgestattet schien. Die Premiere musste verschoben werden.

Tatsächlich ist die Dramaturgie der «Maria Stuarda» speziell. Der erste Akt gehört mit einer grossen Auftrittsszene ganz der Königin Elisabeth, die sich so als Primadonna einführt. Im dritten dominiert dann aber, zumal mit der Finalszene, entschieden Maria, und im zweiten (in der Urfassung die zweite Hälfte des ersten) Aktes, in dem es zur berühmten – von Schiller bekanntlich erfundenen – Konfrontation der Königinnen kommt, hat Maria nicht nur ihren ersten, lyrisch breit angelegten Auftritt, sondern im dramatischen Dialog auch den moralischen Sieg der Erniedrigten, wenn sie ihrer Gegnerin ihre Abkunft aus einer für ungültig erklärten Ehe (Heinrichs VIII. und Anna Boleyns) vorwerfen und ein «Vil bastarda» entgegenschleudern kann. Zweifellos ist diese Szene, von Donizetti mit grandiosem Sinn für dramatische Wirkung komponiert, ein Höhepunkt des italienischen Musiktheaters, aber diese Oper ist auch insgesamt, in der strengen Konsequenz, mit der die musikalischen Nummern der dramaturgischen Logik folgen, wie in der Fülle starker Musik, ein Meisterwerk. Es fügt sich auch bestens in eine Donizetti-Reihe, die vom Opernhaus Zürich als Einheit betrachtet wird und, nachdem «Anna Bolena» und «Roberto Devereux» bereits im Repertoire sind, als «Tudor-Trilogie» auch en suite vorgestellt werden soll (unberücksichtigt bleibt die vierte bzw. die erste Oper Donizettis zum selben Stoffkreis: «Il Castello di Kenilworth» von 1829).

Absagen und neue Chancen

In Frage gestellt ist mittlerweile die Absicht, die Einheit der Trias auch personell zu betonen, weil das Opernhaus im Vorfeld dieser Premiere zwei Absagen erhielt. Dem Unternehmen schaden sie jedoch nicht. Die Absage Edita Gruberovas (aus familiären Gründen, heisst es in der Verlautbarung des Opernhauses; ein Zerwürfnis, meinen die Gerüchte) bedeutet auch das Ende einer Primadonnen-Fixierung, über das nicht alle unglücklich sind, und bedeutet neue Chancen. Die Absage des Regisseurs Gian-Carlo del Monaco (aus gesundheitlichen Gründen) ändert insofern wenig, als das Konzept schon mit «Anna Bolena» festgelegt wurde und die Details des Einheitsbühnenbildes und die Kostüme vom selben Team (Mark Väisänen und Maria-Luise Walek) betreut wurden.

Auch hat Grischa Asagaroff als Einspringer auf der opulenten, in der einfachen Symbolik der Farben (Rot und Schwarz) und Requisiten (Thron und Richtblock) etwas plakativ ästhetisierenden Bühne den Figuren in einer prägnanten und von Extratouren freien Personenführung zu einer eindringlichen musikalisch-schauspielerischen Darstellung verholfen. Klares Profil erhalten auch die Nebenpartien: Melinda Parsons als Marias Vertraute unauffällige Präsenz, Carlos Chausson als Elisabeths finsterer Einflüsterer Lord Cecil die eifernde Aufdringlichkeit, László Polgár als Graf Talbot, Cecils Gegenspieler und Freund Marias, die ruhige Ausstrahlung warmherziger Anteilnahme.

Zwei Frauen und ein Mann

Eigengewicht erhalten die politischen Exponenten indessen nur bedingt, wie das politische Parkett des Historiendramas insgesamt nur andeutungsweise bespielt wird. Denn im Zentrum steht der erotische Konflikt, die Rivalität der beiden Frauen um die Gunst eines Mannes. Dieser spielt dabei eine durchaus passive Rolle in seiner Zuneigung zu Maria, und es bleibt ihm sogar verborgen, dass er es ist, der die eifersüchtige Elisabetta dazu treibt, das Todesurteil zu unterzeichnen. Entsprechend ist auch seine Partie angelegt. In Duettszenen mit Talbot, Elisabeth und Maria bekennt er die Leidenschaft und am Ende die Verzweiflung: Fabio Sartoris Tenor verfügt dafür über viel höhensichere Emphase, im Gleichklang des Sentiments aber auch wenig Nuancierung.

Virtuosität und Leidenschaft

Zuletzt konzentriert sich aber die Aufmerksamkeit ohnehin auf die beiden Protagonistinnen, die mit ähnlichen Anforderungen gegeneinander antreten: mit einer in der lyrischen Kantilene auch mezzosopranistische Fülle ansprechenden Sopranpartie Maria, mit einer in der Dramatik in sopranistische Höhen getriebenen Mezzosopranpartie Elisabetta. In der Zürcher Besetzung kontrastieren die beiden Stimmen deutlich. Carmen Oprisanu bringt für die Elisabetta eine bewegliche, über die ganze Skala kernig-ausgeglichene Stimme ins Spiel, die den virtuosen Aspekten wie dem dramatischen Gewicht der Figur ideal entspricht und die in private Leidenschaft verstrickte Regentin zwischen Herrscherallüre und entgleitender Selbstkontrolle glaubhaft macht: ein Rollendebüt, das kaum Wünsche offen lässt – ausser dem nach einer nicht bloss stummen Präsenz im Hintergrund der Finalszene.

Höhen und Grenzen

Diese Szene gehört – welch eine musikalische Palette zwischen quälender Erinnerung, Resignation und religiöser Sammlung – ganz der jungen Spanierin Angeles Blancas, die hier ein beindruckendes, wenn auch nicht in jeder Hinsicht restlos gelöstes Rollendebüt auch beeindruckend zu Ende führte, schön in der Schlichtheit ruhiger Phrasen, in der Intensität der Spannungsbogen, und packend in der schauspielerischen Präsenz. Dass die immensen Anforderungen auch Ermüdungen mit sich brachte, war aber auch spürbar: Nicht ganz kontrolliert und gelöst im Larghetto, gelang die Wendung ins Maggiore; dem Maestoso-Teil fehlte einiger Schwung, und vielen hohen Tönen war das Aufgebot letzter Energien anzuhören. Nein, schlagzeilenträchtige Erwartungen (die Einspringerin als neuer Weltstar) erfüllten sich da nicht, aber für die Aufführung blieben bei weitem genug bewegend erfüllte Momente in der Gesamtheit einer grossen Ensembleleistung.

Für diese wichtig waren auch die Beiträge des (akustisch nicht optimal postierten) Chors und des Orchesters, das, von einigen Unaufmerksamkeiten abgesehen, viel hervorragende, dramatisch sprechende und kolorierende Begleitarbeit zeigte. Marcello Viottis Dirigat kostete die belcantistische Seite von Donizettis Musik flüssiger Eleganz klangschön und formbewusst aus und sorgte eher für Ausgleich als dramatische Überhitzung. Vor dem Vorhang herrschte am Ende, wie erwähnt, pure Eintracht.