Christian Berzins, Aargauer Zeitung (22.10.2002)
90 Jahre lang stand Hector Berlioz´ Oper «Benvenuto Cellini» nicht mehr auf dem Spielplan des Opernhauses Zürich: Schon allein dank des Dirigats von John Eliot Gardiner hat sich die Mühe, das sperrige Werk wieder auszugraben, gelohnt.
Für Zürcher Opern-Fastfood-Konsumenten stehen in der Saison 2002/2003 harte Zeiten bevor. Denn man wird das Gefühl nicht los, dass der Zürcher Opernintendant noch einmal im Bereich Raritätenpflege punkten will, bevor sich das Ende seiner Intendanz im Jahre 2006 nähert. Hat man über Jahre - mit ein paar netten Ausnahmen, die oft von besonderen «Stars» abhängig waren - das grosse, allseits bekannte Repertoire mit Schwerpunkt 19. Jahrhundert gepflegt und erneuert, steht diese Saison nun ungewohnte Kost bevor: Nach den harmlosen «Quattro rusteghi» von Ermanno Wolf-Ferrari folgt Schuberts «Fierrabras», bevor dann Mozarts «Idomeneo» oder Opern Haydns, Rameaus und Korngolds neu inszeniert werden. Und nun noch zuvor Hector Berlioz´ «Benvenuto Cellini»: Bei der Pariser Uraufführung 1838 fiel das Werk durch; nach einer Überarbeitung, die Franz Liszt angeregt hatte, feierte es 1852 immerhin Achtungserfolge. Für Zürich hat John Eliot Gardiner eine Fassung zusammengestellt, die auf mehrere Bearbeitungen zurückgreift.
Berlioz begeisterte die Idee, ein Künstlerdrama zu schaffen. Sein «Cellini» ist aber nicht nur ein Künstlerdrama, das die Erschaffung eines zentralen Werk des Bildhauers schildert (der Perseus-Statue, die heute in Florenz steht). Eingebettet in diese Schöpfung ist eine Liebesgeschichte, kommentiert und begleitet wird sie von drei sozialen Schichten: den Arbeitern, den Geistlichen sowie der bunten Menge am Karnevalstreiben. Die Schwierigkeit für den Regisseur besteht darin, die etwas starre Handlung voranzutreiben, die einzelnen Gruppen sowie die Individuen, vor allem Cellini, hervorzuheben.
Bei einem Regisseur wie David Pountney muss man um die Massenszenen keine Angst haben. Routiniert ordnet er, wo vermeintlich Chaos herrscht, geschickt gruppiert er, dass Klarheit entsteht. Dazu hilft vor allem auch das Bühnenbild von Richard Hudson: Es stellt ein Theater im Theater dar. Um Umbaupausen zu verhindern, tritt man immer wieder vor einen gemalten Vorhang, so wird die Richtigkeit des «Theaters im Theaters» bewahrt. Diese Theateridee ist ein alter Trick, aber für das Künstlerdrama ein legitimer und vor allem geschickter. Denn so kann im letzten Bild beim Giessen der Perseus-Statue tatsächlich eine Show veranstaltet werden, oder im Karnevalsakt können die Masken auf den Theaterrängen zirkulieren. Dank des packenden Bühnenbildes kommt man auch am Vorwurf des starren Ausstattungstheater vorbei.
Doch wie Pountney das Komödiantische seiner Figuren betont, ist bemühend. Im ersten Bild wollen die antiquierten Possen und billigen Zoten keine Ende nehmen; da wird vor allem vonseiten der Sopranistin Schabernack getrieben, der mit dem in der Handlung herrschenden Karneval gar nichts mehr gemeinsam haben will. Und auch später sind die Gesten so hilflos, dass man sich wahrlich in einem alten Theater fühlt. Damit ist endlich Schluss, als der Papst auftritt. Nicht irgendein Papst, sondern ein echter: der Sängerpapst Nicolai Ghiaurow.
Die Würde, die der 73 Jahre alte Bassist ist seinen Gesang legen kann, fasziniert. Ghiaurow arbeitet in wenigen Tönen eine Vielzahl von Details aus, sodass auch endlich zu hören ist, in welcher Sprache auf der Bühne gesungen wird. Seiner Höhe ist eine schimmernde Helligkeit inne, der viel Glanz eigen ist, und vor allem ist sie nach wie vor kräftig genug; die Tiefe orgelt nicht, sondern rollt sanft vor sich hin. Neben Ghiaurow fallen vor allem der kecke Mezzosopran von Liliana Nikiteanu (als Gehilfe Ascanio) und der bewegliche, kräftige wie ausdrucksfähige Bariton von Thomas Mohr (als Fieramosca) auf. Wäre doch in Chiara Taigis Stimme halb so viel Bewegung wie in ihrem Füssen und ihren Hüften! Doch Taigi (als Teresa, die Geliebte Cellinis) singt, ohne Gebrauch von dynamischen Differenzierungen zu machen. Ihr Piano ist ohne Halt und farblos. Die Stimme ist neben diesen technischen Mängeln anfänglich auch bereits im Mezzoforte-Bereich hart und scharf. Wenn sie mal an die Ausdrucksgrenze geht, hört man, warum sie es meist nicht tut. Gregory Kunde (in der Titelrolle) singt zwar nie «schön», ja seine Stimme hat selbst im mittleren Register kaum Charme, aber immerhin singt Kunde meist den Tönen nach. Aber sein Tenor gewinnt nie an Klang, immer ist da ein rauher Schleier über den Tönen. Und auch Alfred Muff, als fast schon ironisch überzeichneter Bassbuffo Balducci, wirkt durchwegs blass. Doch die Pflanzen, die auf der Bühne nicht so ganz blühen wollten, haben kräftigste Wurzeln im Graben: Das Orchester unter der Leitung von John Eliot Gardiner glänzt. Wer diese Art Berlioz-Interpretation nicht mag, sollte den genialischen Komponisten ganz meiden - ihn, der mit eigenen Regeln die starren Formen der französischen Musikwelt durchbrechen wollte. Doch was für lustvolle Regeln - und wie sie lustvoll umzusetzen sind!
Gardiner holt aus dem Zürcher Orchester die wundersamsten Farben; nicht ein parfümierter französischer Ton ist da zu hören, sondern Klänge mit dramatischem Furor. Gewiss, das Blech darf plärren, doch bei Gardiner ist es nicht zum Plärren da (wie manchmal bei Harnoncourt), sondern zum Klangmalen. Und zu einer enormen Gesanglichkeit kommt bei Gardiner die Ausarbeitung des Rhetorischen hinzu: das Orchester spricht hier, wird zum eigentlichen Erzähler. - Auch Opern-Fastfood-Konsumenten dürften an solcherart Musikzauber Spass haben.