Sibylle Ehrismann, Zürcher Oberländer (22.10.2002)
Die Pariser Grande Opéra des 19. Jahrhunderts hat gigantische Ausmasse. Entsprechend gross ist der Ausstattungsaufwand für den riesigen Chor, Ballett, Statisten und die zahlreichen Solisten. Dies hinderte das Zürcher Opernhaus nicht daran, das selten mehr gespielte Stück «Benvenuto Cellini» von Hector Berlioz in einer neuen Fassung zu produzieren. John Eliot Gardiner und Regisseur David Pountney sorgten in dieser gar eindimensionalen «Künstleroper» für eine beeindruckende Lebendigkeit und Transparenz des Geschehens.
Hector Berlioz ist weniger der Dramatiker als der Mann der grossen, farbenreichen Tableaus. Er verlangt auch hier ein üppiges, reich instrumentiertes Orchester, das er kontrapunktisch feingliedrig verwebt und rhythmisch virtuos vorantreibt. Höhepunkte ergeben sich dabei vor allem in den Massenszenen mit schlagkräftigen Chören. John Eliot Gardiner gelang es, in dieser komplexen und harmonisch eigenwilligen Partitur den Klang transparent und agil zu halten. Er entschied sich dabei für «historische» Blechblasinstrumente wie Naturhörner und Posaunen, was deren sonst pathetischen Strahlglanz etwas milderte. Dazu kamen harte Schläger beim Schlagzeug, was der rhythmischen Kraft dieser Musik eine klangliche Überschärfe verlieh.
Eine neue Fassung
Gardiner hat für Zürich eine neue Fassung des «Benvenuto Cellini» erarbeitet. In Zusammenarbeit mit dem kritischen Herausgeber von Berlioz' Werken, Hugh Macdonald, und mit Regisseur David Pountney hat er aus der nie gespielten Urfassung, der zweiten Pariser Fassung und der Fassung von Franz Liszt, der das Werk in Weimar herausbrachte, eine auf die ursprünglichen Intentionen des Komponisten ausgerichtete neue Version zusammengestellt. Eine enorme Vorarbeit für ein Werk, das weder inhaltlich noch musikalisch viel Substanz aufweist. Zudem erwiesen sich an der Premiere in Zürich sowohl die intimeren Arien, Duette und Terzette, als auch die grossen Tableaus allesamt überlang zerdehnt.
Die Geschichte dreht sich um den Bildhauer Benvenuto Cellini, der in die Tochter des päpstlichen Schatzmeisters verliebt ist. Zudem hat dieser den Auftrag erhalten, für den Papst eine Statue des Perseus zu kreieren, und ist damit der Konkurrent des päpstlichen Bildhauers Fieramosca. Der Vater von Teresa hat auch diesen für sie vorgesehen. Cellini verspricht Teresa, sie während des Karnevals in Rom zu entführen und will sich ihr als Mönch zu erkennen geben. Doch sein Nebenbuhler hat den Plan belauscht und erscheint ebenfalls als Mönch. Die Verwirrung ist perfekt, Cellini bringt einen der Mönche um, er kann jedoch fliehen. Es ist schliesslich der Papst, der Cellini die Chance gibt, sein Kunstwerk bis zum Abend zu vollenden. Hält er die fast unmögliche Frist ein, soll ihm seine Mordtat vergeben und Teresa seine Frau werden. Natürlich gelingt es, auch wenn Cellini alle seine Meisterwerke in den Brennofen werfen muss, um genügend Metall für den Guss zu erhalten.
Theater im Theater
Regisseur David Pountney erwies sich auch in dieser heiklen, zwischen Humor und Tragödie schwankenden Geschichte einmal mehr als Meister in der Führung grosser Massen. Seine Kernidee ist der Trick mit dem Theater im Theater, wobei die theatralische Selbstinszenierung des Künstlers, wie sie auch Berlioz zu eigen war, humorvoll zum Tragen kommt. Die kleine Bühne auf der Bühne ist einerseits Wohnraum von Teresa, wird dann aber im Handumdrehen zur Theaterbühne im Karneval. Das erlaubt Pountney, die Einzelfiguren deutlich aus den Massen herauszuheben. Mit der halbfertigen mehretagigen Theaterlogen-Mauer im Hintergrund kommt zudem eine wei-tere Höhendimension der Spielebenen hinzu, die die Massenauftritte geschickt gliedert.
Handwerkender Männerchor
Einer der grossartigsten Momente ist die Giessereiwerkstatt von Cellini mit dem handwerkenden Männerchor: Wunderbar in die Musik hineinchoreographiert wird hier der Prozess des Erhitzens und des Abkühlens im Wasser: Feuer und Wasserdampf prägen das Bild. Im Schlussbild dann, in dem es um den Guss der Perseus-Statue geht, steht der übergrosse Giessofen in der Mitte des Bühnenraums. Das lodernde Feuer und der Dampf treten geheimnisvoll aus allen Ritzen des Ofens, aus dem schliesslich die heldisch-pathetische Statue ersteht. Auch hier wird der Giesser-Chor wirkungsvoll choreographiert geführt und singt dabei trotzdem sehr schlagkräftig, wenn auch manchmal etwas gar laut.
Solche Massenszenen dominieren die Oper: Volk, Karneval und Geistliche sorgen für gehörigen Tumult. Dass bei den rhythmisch und kontrapunktisch heikel auf das Orchester abgestimmten Chorpartien an der Premiere noch nicht alles präzise koordiniert wirkte, ist nachvollziehbar. Um so willkommener waren die kleineren Ensembles der Solistinnen und Solisten, die auch einige musikalische Juwelen brachten. Der musikalische Höhepunkt war dabei das Terzett im ersten Bild von Teresa, Cellini und dem sie belauschenden Fieramosca, ein auch dramaturgisch wirkungsvoller Moment, der sich aber leider wie so vieles in die Länge verlor.
Eigenwillige Harmonien
Für die Sängerinnen und Sänger stellen die solistischen Partien eine grosse Herausforderung dar. Harmonisch oft eigenwillig abgestützt, sind sie schwierig zu intonieren und pendeln zwischen agiler Leichtigkeit und dramatisiertem Pathos. Durch die subtil auf die Musik abgestimmte Personenführung von David Pountney fanden sie aber auch szenisch einigen Halt. Eine hervorragende Bühnenpräsenz brachte Chiara Taigi als Teresa mit. Sie reagierte in ihrer langfädigen Auftrittsarie bis in die Zehenspitze auf musikalische Raffinessen, spielte sehr lebendig und bekundete einzig mit der Intonation einige Probleme. Dies machte sie aber mit einer warmen Strahlkraft ihrer Stimme und einem verspielten Temperament wett. Etwas weniger prägnant wirkte neben ihr Gregory Kunde als Cellini. Seine weiche und agile Tenorstimme bekundete vor allem im Dramatischen Mühe, sich durchzusetzen. Doch auch er vermochte schauspielerisch wertvolle Akzente zu setzen und einige der raren innigen Momente zu vermitteln.
Prägnanz für Karikatur
Gut zu dieser weichen Künstlerstimme passte der giftig dazwischenfunkende Fieramosca von Thomas Mohr, der dieser pompösen Karikatur von sich selbst Prägnanz und Strahlkraft verlieh. Alfred Muff musste mit der etwas undankbaren Rolle des ständig schimpfenden Vaters von Teresa vorlieb nehmen, in der er auch etwas blass blieb. Liliana Nikiteanu hingegen sorgte als Cellinis Bursche Ascanio im Schlussbild im Duett mit dem Meister für einen weiteren musikalisch-szenischen Höhepunkt des Abends. So stereotyp all diese Figuren sind und bleiben, ihre üppig pompösen Renaissance-Kostüme in der luxuriösen Ausstattung von Richard Hudson prägten das Gesamtbild markant. Auch hier viel Aufwand für ein mittelprächtiges Werk.