Zwei Welten in einer

Sigfried Schibli, Basler Zeitung (19.12.2006)

Zaide, 17.12.2006, Basel

«Zaide-Adama» von Mozart und Chaya Czernowin am Theater Basel

Nach der Uraufführung bei den Salzburger Festspielen im August kann jetzt das Basler Theaterpublikum das Auftragswerk «Zaide-Adama» in einer ambitionierten Doppelproduktion erleben.

Es gibt den Parallelschwung, Parallelakkorde und Parallelwelten, aber gibt es zu Mozart eine Parallele? Ja, lautet die Antwort von den in Sachen Mozart ja nicht ganz unbeleckten Salzburger Festspielen. Sie gaben › noch zu Michael Schindhelms Zeiten › beim Theater Basel und der israelischen Komponistin Chaya Czernowin mutig eine Komposition in Auftrag, die Mozarts Opernfragment «Zaide» ergänzt und vollendet. Nicht «im Stil Mozarts» (was eine Anmassung wäre), sondern «im Stil unserer Zeit» (was zumindest ehrlich ist).

ZWEIGLEISIG. Frau Czernowin begnügte sich nicht damit, dem ohne Happy End auskommenden und gerade darin so modern wirkenden Opernfragment ein paar Übergänge hinzuzukomponieren. Sie erfand zu ihrer Musik eine Handlung, die von der Mozarts weit abrückt. Deshalb gibt es in diesem seltsam zweigleisigen Opernabend nicht nur das Sklavenpaar Zaide und Gomatz, das vom Herrscher Soliman gefangen gehalten wird und vergeblich zu fliehen versucht. Es gibt auch ein israelisch-palästinensisches Paar, das unter der Knute eines gestrengen Vaters steht und seine angebliche Freveltat mit dem Tod bezahlen muss.

Konfliktuös. Nun ist dies nicht die erste Oper, die den scheinbar ewigen Nahostkonflikt zum Thema hat. Rudolf Kelterborn hat schon vor 15 Jahren eine etwas in Vergessenheit geratene Oper «Julia» geschrieben, die eine ähnliche Anlage hatte. Nur konnte sie sich nicht auf ein Mozart-Stück als Kontrastfolie stützen. Und der Kontrast rückt Czernowins Klänge in ein helles Licht: Ihre Musik scheint unmittelbarer und eindeutiger als die Mozarts fähig zu sein, dem Leiden Ausdruck zu geben.

Während Mozarts Vertonung › etwa in der A-Dur-Arie der Zaide «Trostlos schluchzet Philomele» immer auch die Besänftigung als Subtext mit sich führt, herrscht in den stockenden Rhythmen und schabenden Klängen von Chaya Czernowin die blanke Ausweglosigkeit. Und während Mozarts Ensembles, auch noch das den Abend beschliessende Schlussquartett in B-Dur, eine Art milder Einigkeit noch im schärfsten Dissens suggeriert, wird in Czernowins Musik jede Harmonie durch brutale Schläge und sirenenartiges Heulen unterdrückt.

Zwei Dirigenten und zwei Instrumentalensembles teilen sich in die komplexe Aufgabe. Im Graben spielt das Sinfonieorchester Basel unter Friedemann Layer Mozart, auf einem Podest davor widmen sich Mitglieder der basel sinfonietta unter Johannes Kalitzke der Czernowin-Partitur. Es gibt einige Überlappungen der beiden Kompositionen, manchmal dringt die eine Ebene wie flüssiges Wachs in die Ritzen der anderen ein, aber im Groben sind sie getrennt, ebenso wie die Sänger-Darsteller auf der Bühne.

Maya Boog ist Mozarts Zaide, stimmlich in der wunderbar wogenden G-Dur-Arie «Ruhe sanft, mein holdes Leben» nicht so makellos wie von ihr gewohnt, sondern mit ein paar vokalen Brüchen. Ihr Pendant auf der «modernen» Seite ist die Altistin Noa Frenkel, die der verliebten Israelin souverän ihre grosse Stimme leiht. Ihr akustisch wohl verstärkter Baritonpartner heisst Yaron Windmüller und stammt ebenfalls aus Israel. Dessen imaginärer Bruder im Mozart-Stück ist der Schweizer Tenor Rolf Romei, seit dieser Saison Ensemblemitglied am Theater.

Den vergebens zwischen Herrscher und Unterdrückten vermittelnden Allazim singt mit wohllautendem, sicher geführtem Bass der junge Tobias Hächler, den ins Bizarr-Perverse gewendeten, mit viel Theaterblut um sich werfenden Soliman der Tenor Karl-Heinz Brandt und den schon auf Mozarts «Entführung» vorausweisenden Polterer Osmin der Bassbariton Andrew Murphy.

Anonym. Claus Guth führt im Bühnenbild von Christian Schmidt Regie, und er zieht gekonnt alle Register der Schauermärchen-Ästhetik, vom versuchten Selbstmord der Zaide bis zu den Erwürgungsszenen im Nahoststück. Das Unwirklich-Unheimliche des Geschehens wird durch anonymisierte, bisweilen blutverschmierte Masken verstärkt, der Eindruck einer für das Individuum unkontrollierbar gross gewordenen Welt durch überdimensionale Requisiten. Die Flucht von Zaide und Gomatz aber fasst Guth in ein verblüffend simples Bild: Die Beiden hauen über eine Leiter ab, die nicht in den Himmel, sondern nur in die Pause führt. › Kräftiger Applaus und keine Buhs für eine ungewöhnliche, sehenswerte Produktion.