Thomas Meyer, Tages-Anzeiger (19.12.2006)
Das Theater Basel zeigt die hochaktuelle Doppelproduktion «Zaide/Adama» mit Musik von Mozart und Chaya Czernowin.
In der Oper des späten 18. Jahrhunderts war es gleichsam vorgeschrieben, dass zum Schluss doch noch die Verzeihung obsiegte, dass der Herrscher entsagte und die wahre Liebe zusammenführte: zur Freude des Publikums, zur Selbstzufriedenheit der real Herrschenden, die sich in der eigenen Güte sonnten. Mozarts «Idomeneo» erzählt ebenso davon wie «Die Entführung aus dem Serail» oder - versteckter bzw. ironischer - die «Zauberflöte» und «Figaros Hochzeit». Das 1779/80 vor der «Entführung» entstandene Singspiel «Zaide» freilich bricht mit dieser Tradition des Happyends - unfreiwillig, denn Mozart hat es nie zu Ende geführt. So mündet das Stück - es erzählt von der Liebe zwischen dem Christen Gomatz (Rolf Romei) und der Muslimin (Maya Boog), die gemeinsam dem Reich Solimans (Karl-Heinz Brandt) entfliehen wollen - ins Schlussquartett mit der trotzigen Rachebekräftigung des Soliman «Alle beide müsst ihr sterben!». Keine Versöhnung, keine Utopie also, keine glücklich Liebenden. Es ist nicht das einzige Mal in der Musikgeschichte, dass das Fragment wahrer spricht, als es das vollendete Werk hätte tun können.
Musik geht unter die Haut
Es konnte also auch nicht darum gehen, nach 225 Jahren Mozart brav und möglichst authentisch zu komplettieren. Als der Regisseur Claus Guth die aus Haifa stammende Komponistin Chaya Czernowin um eine Ergänzung zur «Zaide» bat, hatte er anderes im Sinn: Ein modernes Gegenstück, das sich zwischen den Mozartschen Teilen festhakt, ja sich zuweilen hineinfrisst und einen düsteren Spiegel dazu entwirft. Und genau das ist Czernowins «Adama»: Zu der so flexiblen, leuchtenden Tonsprache Mozarts setzt sie geräuschhafte, perkussive, oft dunkle oder scharfe, statisch-flächige Klänge entgegen, ja sie mischt sie zunehmend unter die klassischen Klänge. Der Mozartschen Liebesgeschichte wird jene zwischen dem Palästinenser (Yaron Windmüller) und der Israelin (Noa Frenkel) entgegengestellt.
Beide Paare finden parallel am Ende des ersten Akts zueinander, beide werden von der Gesellschaft im zweiten Teil bestraft und gefoltert. Das Ende ist unerbittlich, und die Musik, die Czernowin zu einer Art Steinigungsszene komponiert, geht unter die Haut. Klanglich braucht es dafür zwei Ensembles: Die Basel Sinfonietta unter Johannes Kalitzke spielt die zeitgenössischen Klänge, das Sinfonieorchester Basel unter Friedemann Layer die klassischen - die einen mit bohrender Konsequenz, die anderen mit schwungvoller Leichtigkeit. (Die Basler Madrigalisten bewegen sich mit den Chorpartien auf beiden Ebenen.) Der harte Kontrast zu Mozarts Tonsprache, die Störungen auch selbst in Mozart-Arien - das ist es schliesslich, was die Tragik dieser Konstellationen hervorbrechen lässt.
Die Koproduktion wurde diesen Sommer bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt und schon auf DVD veröffentlicht (Deutsche Grammophon, 00440 073 4252). Bereits auf dem Bildschirm wirkt die Inszenierung Guths eindringlich, auf der Grossen Bühne des Theaters Basel (Neueinstudierung: Susanne Øglænd) intensiviert sich dies nun noch, denn hier gibt es kein Entrinnen.
Im überlebensgrossen Bühnenbild von Christian Schmidt wirken die Liebenden wie verlassene Zwerge, auch ihre Schinder gleichen mit ihren riesigen Köpfen eher Marionetten. Guths Inszenierung zeigt vieles nicht, sie braucht kein lokales Kolorit, keine Türkenoperrequisiten und keine PLO-Tücher, sie deutet eher an, mit wenigen Gesten, aber auf dem Höhepunkt bricht doch die von Beginn weg latente Gewalt durch. Man sieht und hört gebannt zu. «Zaide/Adama» wagt Aktualität.