Wolfgang Amadeus im Land der Märtyrer und Dämonen

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (19.12.2006)

Zaide, 17.12.2006, Basel

Nun hat nach Luzern und Zürich auch Basel am Abend des Mozartjahrs «seine» Fassung von Wolfgang Amadeus Mozarts unvollendeter Oper «Zaide». Am Sonntag war Premiere des Mozart-Czernowin-Paares «Zaide-Adama».

In «Adama» schwingt Adam (Mensch) mit, aber auch hebräisch Dam (Blut) und zusammen Adama (Erde). Die 1957 geborene israelische Komponistin Chaya Czernowin komponierte im Auftrag der diesjährigen Salzburger Festspiele ihre eigene Oper zum «Zaide»-Stoff. Es ist keine Ergänzung, sondern eine Assoziation aus heutiger Sicht mit dem Blick auf ein Liebespaar aus Israel und Palästina. Dieses moderne Musiktheater durchdringt Mozarts Opernfragment szenisch wie musikalisch, ohne die Handlung zu einem Ende zu bringen: Zwei Geschichten bleiben unvollendet, und wenn man bei Mozarts unbekanntem Finale noch an ein «lieto fine» glauben darf, so ist das für die moderne Geschichte angesichts der aktuellen Zustände kaum denkbar.

Wirre Gewaltorgien

Die Salzburger Inszenierung von Claus Guth kam nun ans koproduzierende Basler Theater, wo sie mit eigenen Sängern und Musikern frisch einstudiert wurde. Vom Konzept her klingt das alles sehr viel versprechend, in der Realität der Bühne allerdings verschwimmen Konzept und Absicht hinter einem Vorhang aus alptraumhaften Szenen, Gewaltorgien mit Kunstblut aus der Ketchup-Flasche, Video-Projektionen und teils recht wirren Anspielungen. Beziehungen und Entwicklungen werden kaum fassbar.

Wir sind in einem beklemmenden Raum, den überlebensgrosse Dimensionen und überproportionierte Möbel bestimmen: Eine Anstalt? Ein Verhörraum? Ein Foltergefängnis? Masken-Männer mit riesigen Köpfen geben die Bösen, die Opfer werden gleichfalls zur Masse in der Uniformität ihrer Aufmachung. Wenn Zaide nicht ihre wunderschönen Arien hätte, wir würden sie nicht erkennen. Klar, Guth will damit anonymisieren und gesellschaftliche Mechanismen auf die Bühne bringen. Aber wer Mozarts Opernfragment und seine Arien nicht wirklich gut kennt, ist aufgeschmissen, denn auch die Inhaltsangaben im Programmheft sind in ihrer Knappheit keine Hilfe, und Übertitelungen gibt es nicht. Und auch die durchaus feinfühlige und subtile Begleitung durch Friedemann Layer und das Basler Sinfonieorchester ist der sprachlichen Deutlichkeit bei den Sängern in der Regel noch nicht förderlich genug. Was wir auch nicht unbedingt verlangen. Aber hebräische und arabische Texte in avantgardistischer Silben-Zerklüftung zu kapieren, ist für durchschnittlich gebildete Europäer vielleicht doch ein wenig überfordernd.

Ich gestehe gern: Mich hats genervt, wie hier der Palästina-Konflikt in ästhetisiernde Bilder umgesetzt wurde, die brutale Gewalt suggerieren, eine Gewalt, die wir authentisch aus den Fernsehnachrichten kennen, die aber auf diese Weise überhöht in unfreiwillige Komik abgedriftet ist. Für mich. Andere haben das völlig gegensätzlich erlebt: intensiv, eindringlich, abstossend. Meine Sitznachbarin hielt sich die Augen zu.

Unterschiedliche Auffassungen

Auf musikalischer Seite zeigt sich ein ähnliches Bild. Czernowins Klänge sind kaum fassbar: Klangereignisse, viel Perkussion, viel Aktion, viel Geräusch, und alles andere leise und verschattet. Vieles wirkt unverbindlich oder plakativ. Auf mich. Andere liessen sich davon weit mehr beeindrucken. Für mich war jede Mozart-Arie eine Insel der Seligen, und das nicht wegen des Gegensatzes klassisch-modern, sondern wegen der musikalischen Qualität. Akustischen Ereignissen, die in meinen Ohren völlig beliebig klingen, stehen plötzlich Klang, Struktur, Variation und Überraschung gegenüber.

Mein persönliches Fazit über Chernowins Komposition: Es ist schlicht tollkühn, sich mit Mozart einzulassen. Was «Zaide» betrifft, lassen sich auch musikalische Massstäbe anwenden: gutes Orchester, souveräne, subtile Leitung, eine berückend singende Maya Boog als Zaide - die über ihre beachtlichen Fähigkeiten hinaus an die Grenzen ihrer Stimme zu gehen wagte und dadurch ungemein an Intensität gewann -, sattelfeste Herren mit Rolf Romei, Karl-Heinz Brandt und Andrew Murphy und eine eher schmächtige Mozart-Stimme von Tobias Hächler als Allazim.

Czernowins Klänge waren der Basel Sinfonietta anvertraut, die unter der Leitung von Johannes Kalitzke stand. Noa Frenkel und Yaron Windmüller sangen das Liebespaar, das zueinander nicht kommen konnte, weil die Steinmauer zwar nicht wirklich hoch war, diejenige in den Köpfen aber umso unüberwindlicher ist.