Sigfried Schibli, Basler Zeitung (02.10.2006)
Nach Basel und Luzern begeht nun auch die Berner Oper das Brecht-Jahr › mit einer spektakulären «Mahagonny»-Inszenierung.
Nach der «Wende» wurde es still um Regisseur Harry Kupfer, einen der grossen Erneuerer des Musiktheaters, dessen Inszenierungen in Ost- und West-Berlin, aber auch etwa in Bayreuth Aufsehen erregten. Man war daher gespannt, was der nach aussen stets linientreue DDR-Regisseur heute zum Antikapitalismus-Stück par excellence, zu «Mahagonny» von Brecht und Weill, zu sagen hat, das er in Dresden und jetzt auf der kleineren Bühne des Stadttheaters Bern vorstellte.
GELD. Kupfer ist sich treu geblieben. Sein Bilderfundus › die Bühne schuf Hans Schavernoch › hat sich erweitert, aber die Botschaft ist unverändert: Alles Übel auf der Welt rührt vom Besitzstreben her, das sich im Geld materialisiert und im Kapita-lismus verwirklicht. Über die Bühne flimmern Bilder von Kriegsflugzeugen und Politikern, es fehlen nicht Hiroshima und die Twin Towers als Symbole modernen Scheiterns.
Schon die Gründung der Stadt Mahagonny wird als Kriegshandlung gezeichnet; in allen drei Akten steht ein Militärhelikopter auf der Bühne, der bald als Liebesgrotte, bald als Hinrichtungsstätte für Jim Maloney dient, den Mann, der nicht zahlen kann. Am Ende führt Jenny Hill, die treulose Geliebte, eine Mickey-Mouse-Puppe mit sich. So kriegt auch noch die amerikanische Unterhaltungsindustrie ihr Fett weg. Dass das Ganze vor dem Hintergrund des Aletschgletschers stattfindet, soll uns wohl sagen, dass auch die Natur nicht mehr frei ist von der Diktatur des Mammons.
FORMAT. So simpel die Message, so virtuos sind Kupfers inszenatorische Mittel. Zum einen seine Personenregie, die nichts von ihrer Qualität verloren hat › ablesbar an der Chorregie (musikalisch ist der Berner Opernchor schwach). Die Figurenzeichnung ist konventionell. Die Witwe Leokadja Begbick von Karan Armstrong ist eine heruntergekommene Halbweltdame von sängerischem Grossformat. Jenny wird von Noëmi Nadelmann mit darstellerischer Hingabe und Belcanto-Reizen verkörpert. Der arme Teufel Jim Mahoney von Henrik Vonk wurde als indisponiert gemeldet, sang aber sehr achtbar seine grosse Baritonpartie.
Auch der Rest des Ensembles kann sich sehen und hören lassen, und das Berner Sinfonieorches-ter spielte unter Daniel Inbals Leitung bläserstark, aber in den Streichern nicht immer intonations-sicher. Nach dem heiteren Basler «Mahagonny» und der unorthodoxen Luzerner «Dreigroschenoper» hat die Schweiz mit Harry Kupfers Inszenierung nun ihren werktreuen Beitrag zum Brecht-Jahr geleistet.