Das Ende von Humanität und Liebe

Christian Fluri, Mittelland Zeitung (19.12.2006)

Zaide, 17.12.2006, Basel

Theater Basel: «Zaide/Adama» von Wolfgang Amadé Mozart und Chaya Czernowin ist von Claus Guth und Christian Schmidt in starken Bildern packend inszeniert worden.

Wolfgang Amadé Mozarts «Zaide», Vorläufer seines Singspiels «Die Entführung aus dem Serail», blieb unvollendet. Regisseur Claus Guth, die Salzburger Festspiele und das Theater Basel als Co-Produzent beauftragten die 49-jährige israelische Komponistin Chaya Czernowin das Fragment zu ergänzen, in einen Dialog mit Mozart zu treten. Das ist der wohl fruchtbarste Umgang mit einem Fragment.

Im August hatte «Zaide/Adama» erfolgreiche Premiere in Salzburg - alle Mozart-Opern wurde dort präsentiert. Claus Guth, sein Bühnenbildner Christian Schmidt und die Assistentin Susanne Øglaend haben nun die Produktion am Theater Basel zum Abschluss des Mozart-Jahres ebenso mit Erfolg auf die Bühne gebracht.

Der Ost-West-Konflikt ist in Mozarts «Türken-Oper» Thema. Die Haremsfrau Zaide liebt den christlichen Sklaven Gomatz. Sie fliehen gemeinsam, werden aber wieder gefasst. Sultan Soliman ist nicht aufgeklärter Fürst wie Bassa Selim in der «Entführung», er rächt sich. Czernowins «Adama» (das hebräische Wort heisst Erde, enthält «adam», Mann, und «dam», Blut) spielt im Nahen Osten und erzählt von der Liebe zwischen einer Israelin und einem Palästinenser. Die Feindschaft zwischen den Völkern aber, die kulturellen Differenzen, die sich bis in die Sprache auswirken, sind unüberwindbar. In ihrem Text arbeitet die Komponistin mit Wörtern des «Zaide»-Librettos.

Chaya Czernowin setzt Mozarts Musik eine eigene Klangwelt sprechender Geräusche, sich reibender, teils schwebender, teils heftiger Sequenzen entgegen. Die beiden Musiken und Geschichten sind ineinander verschränkt. Oft überlagern die neuen Klänge Mozarts Musik - ohne sich ihr aufzusetzen. Die mehr als 200 Jahre auseinander liegenden Musiken treten in einen spannungsvollen Dialog. Mozarts Partitur wird von Dirigent Friedemann Layer und dem Sinfonieorchester Basel umgesetzt, die Czernowins von Johannes Kalitzke, der schon die Uraufführung in Salzburg dirigierte, und dem zwölfköpfigen Ensemble der basel sinfonietta.

Chaya Czernowin setzt einen starken Beginn mit verstörenden Geräuschen und fragilen Klangsequenzen. Ihre «Ouvertüre» relativiert den Text des einleitenden «Zaide»-Chorgesangs, der empfiehlt, das Leiden in der Welt mit Gesang zu verdrängen. Sie lässt uns genauer auf Mozart hören, dessen Musik ja selbst schon den Text unterläuft.

Regisseur Claus Guth verknüpft die beiden Geschichten miteinander. Er verweist so auf die historische Dimension des Ost-West-Konflikts. Und er führt «Zaide/Adama» auf eine allgemeine Ebene politischer und familiärer Gewalt. Christian Schmidt hat ihm einen überdimensionierten Verhörraum geschaffen. Darin sind die kleinen Menschen gefangen und verloren. Der erdrückende Raum ist Symbol für brutale Macht und die Erniedrigung der Menschen.

Leidend, orientierungslos bewegen sich Gomatz und Zaide, die Israelin («Frau») und der Palästinenser («Mann») in diesem Raum. Es herrscht eine Atmosphäre der Gewalt, der Angst: Das Glas der Tür ist zerbrochen, Steine wurden hineingeworfen.

Gomatz und Zaide finden sich in Liebe, suchen einen Ausweg - Allazim, den Guth als Mozarts Stimme der Hoffnung und Menschlichkeit setzt - weist ihnen den Fluchtweg. «Mann» und «Frau» in «Adama» nehmen in ihrer von Spannungen belasteten Beziehung das Mozart-Liebes paar gleichsam als historisches Vorbild. Doch in ihren Köpfen laufen die Bilder aus dem Nahen Osten mit der Grenzmauer ab - sie werden in den Raum projiziert. Und das ist eine auch verinnerlichte Kontrollinstanz, die die Vorurteile erhält, Grenzen zieht - verkörpert durch einen Tänzer mit riesiger Kopfmaske. Für «Mann» und «Frau» gibt es keinen Ausweg, der Krieg trennt sie.

An beiden Paaren wird brutal Rache geübt. Im zweiten Akt führt Guth die Geschichten von «Zaide» und «Adama» zusammen. In der grausamen Gewalt der Herrschenden heben sich die zeitliche Differenz und die kulturellen Gegensätze auf. Sultan Soliman, der Wächter Osmin (aus «Zaide), der Vater, ein Tänzer und Schauspieler (aus Adama) sind sich gleich: in ihrem tyrannischen Verhalten, in den riesigen Kopfmasken, dem sprechenden Zeichen, das schon durch die Kälte des Ausdruck Angst verbreitet. Ziehen sie sich die Masken vom Kopf, zeigt sich ihre zerstörerische Emotionalität.

Diese Herrschenden, diese Vaterfiguren foltern, steinigen die vier. Guth inszeniert das Grauen in symbolhafter, ins Abstrakte greifender Bildsprache, die sichtbar mit den Mitteln des Theaters arbeitet. Das Blut ist Ketchup; brutal geschlagen, ins Gesicht und in den Bauch getreten, wird eine Puppe; die Steinigung, die Elektroschocks sind nur angedeutet. In ihrer Zeichenhaftigkeit erschüttern die starken Bilder von Misshandlung und Erniedrigung. Und sie verdeutlichen, wie private und politische Unterdrückung miteinander einhergehen.

Die hervorragende Regiearbeit, die auch von Guths genauer, die Psyche der Figuren auslotenden Personenführung lebt, wird mitgetragen von Czernowins Musik. In den unter die Haut gehenden Geräuschen der Folter, der tödlichen Schläge, ebenso in den langgezogenen, verwundet erscheinenden Klängen der Opfer, ist weitergedacht, was in Mozarts Musik angelegt ist. An die neue Musik geschnitten, wird Zaides Arie «Trostlos schluchzet Philomene» zum berührenden humanistischen Appell. Doch Hoffnung ist keine mehr. Psychisch und physisch zerstört sind die Liebenden, kaputt ebenso die gewalttätigen «Väter». Czernowin hebt den aufklärerischen Duktus Mozarts dialektisch auf - belässt ihm aber das Schlusswort.

Die Solisten spielen und singen mit grosser Ausdruckskraft, tragen viel zum Erfolg der Produktion bei. Zudem harmonieren das «Adama»-Ensemble, das bereits in Salzburg mitgewirkt hat, und das neue Basler «Zaide»-Ensemble bestens. Noa Frenkel als Frau und Yaron Windmüller als Mann meistern ihre schwierigen Partien bravourös, stellen bewegend die Verzweiflung ihrer Figuren dar. Andreas Fischer zeigt sich mit kräftigem Bass als archetypischer Vater in seiner Brutalität. Gewandt mimt der Tänzer Paul Lorenger die Masken tragende Kontrollinstanz.

Ergreifend, mit genau zeichnendem Sopran singt Maya Boog die Zaide. Ein guter lyrischer Mozart-Tenor mit feinem Schmelz ist Rolf Romei als Gomatz. Tobias Hächler gibt den Allazim mit schlankem, flexiblem, aber wenig durchdringendem Bass. Karl-Heinz Brandt entfaltet die Grausamkeit Solimans eindrücklich, forciert aber hin und wieder etwas. Andrew Murphy brilliert - gerade in den rasanten Koloraturen - mit dunklem, agilem Bass als Osmin, zeigt dessen Hinterhältigkeit. Grossartig singen die fünf Männer der Basler Madrigalisten.

Die beiden Dirigenten Layer und Kalitzke kooperieren ausgezeichnet. Layer treibt das Sinfonieorchester Basel zu rhythmisch klar akzentuiertem Spiel an, leuchtet die Partitur aus, arbeitet die Emotionalität von Mozarts Musik gut heraus. Das Sinfonieorchester folgt ihm engagiert, hat aber noch manchen Einsatz verwackelt. Ausdrucksstark und präzis spielt das Ensemble der basel sinfonietta.

Guth und Schmidt konnten einen Tag nach der Zürcher Premiere ihrer «Ariadne auf Naxos» (bz von gestern) in Basel einen weiteren Erfolg feiern. Stark war der Applaus für alle Beteiligten.