«La Gioconda» nahe der Parodie

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (24.03.2003)

La Gioconda, 22.03.2003, Zürich

80 Jahre lang ruhte sie in Frieden, jetzt hat das Zürcher Opernhaus Amilcare Ponchiellis Oper «La Gioconda» wieder auf die Bühne gebracht. Mit zwiespältigem Resultat: Das Stück hat faszinierende Seiten, die Umsetzung liess sehr zu wünschen übrig.

Es gab Zeiten - und sie sind nicht so lange her -, wo kein Klassik-Wunschkonzert ohne Ponchiellis «Tanz der Stunden» auskam, und die grosse Arie «Cielo e Mar» hatte jeder Tenor im Repertoire. Beide stammen aus Ponchiellis «La Gioconda», die Einzige von seinen zehn Opern, die sich wenigstens halbwegs dem Vergessen entziehen konnte. Denn ausser den beiden genannten Höhepunkten hat sich wenig halten können, als ganze Oper wird «La Gioconda» nur sehr selten auf die Bühne gestellt.

Die verschlungene, unwahrscheinliche Handlung vom Verdi-Librettisten Arrigo Boito nach einem Drama von Victor Hugo wurde dafür gelegentlich vorgeschoben, aber abgesehen, dass das für andere Stücke - siehe «Trovatore» - auch kein Hinderungsgrund ist, hat die Geschichte von «La Gioconda» viele romantische Elemente und emotionale Höhepunkte.

Das Beste war die Bühne

Davon konnte die Zürcher Produktion nicht profitieren. Das Beste war das Bühnenbild von William Orlandi, wären da nicht die langen Umbauzeiten in den Pausen: Ein stilisiertes Venedig, die Arkaden, die Gondeln, die Masken und die Commedia dell'Arte, alle da, aber mehr als Zitate, denn als wirkliche Bühnenelemente, und stets getaucht in ein düsteres, bedrohliches Licht, welches den Sujets von Rache, Mord, Gift, Intrigen, Eifersucht und Gemeinheit nur zu gut passt. Das üppige Gold für die Szenen im Palast war dabei als Kontrast nur umso schlagkräftiger.

Darüber hinaus gab es wenig zu sehen: viele Herumstehende in vielen farbigen Kostümen, Ballett und Karneval, und die einzige spannende Frage an Gilbert Deflos Inszenierung blieb: Gibt es wohl einen Satz, der nicht frontal an der Rampe gesungen wird? Es gab nicht: Jede Phrase ein Ausrufezeichen, jeder Einsatz ein Auftritt, jeder Auftritt ein Konkurrenzkampf gegen die anderen um die grössere Durchschlagskraft des Tons. In Reih und Glied stehen sie alle auf der Bühne, vor dem Chor, der seinerseits hübsch aufgereiht stehen bleiben darf, nachdem jeder Chorist atemlos rennend seinen Platz in der vorgegebenen Zeit erreicht hat.

Front gegen das Publikum

Bei Deflo gilt: Front gegen das Publikum, wer etwas zu singen hat, tritt zwei Schritte vor, wenn er fertig ist, marsch zurück ins Glied. Weitergehende Anweisungen schien es vom belgischen Regisseur nicht gegeben zu haben, womit die unterschiedlichen individuellen darstellerischen Fähigkeiten zum Tragen kamen: besser, manchmal sogar richtig glaubhaft und anrührend bei Sylvie Valayre in der Titelrolle und ansatzweise bei Francesca Franci und Roberto Scandiuzzi, schon weniger bei Juan Pons, welcher die abgrundtiefe Schwärze der Seele des Intriganten Barnaba, ein würdiger Vorläufer von Verdis Jago, nicht glaubhaft zu machen verstand. Und erbarmungswürdig beim Tenor Walter Fraccaro und noch mehr bei Mariana Pentcheva, die beide all die verstaubten Sängergesten kultivierten, über welche sogar das Zürcher Premierenpublikum mittlerweile lachen kann. Wenn man eine Opernparodie veranstalten wollte, man könnte es nicht besser machen. Und sogar für die sängerische Seite dieser Produktion galt manchmal dieses nicht eben schmeichelhafte Verdikt: Wenn sich wirklich potente Stimmen gegenseitig an die Wand zu singen versuchen, kann das ja noch einen gewissen Reiz haben, als sportlicher Wettstreit und aus der reinen Lust an geschmetterten Tönen, wovon die Oper grundsätzlich ja nie frei ist. Aber wenn es Stimmen sind, die besser daran täten, sich mit Mass und Intelligenz um ihre Grenzen zu kümmern wie vor allem bei Juan Pons, dann sollten sie sich auf solche Duelle nicht einlassen.

Schon in der Mitte am Ende

Pons war bei seiner grossen Szene schon in der Mitte am Ende, bei Walter Fraccaro (und manchmal auch bei den anderen) driftete die Intonation vor lauter Anstrengung in abenteuerliche Sphären ab, Sylvie Valayre verlor fast alle Klangfarben und Ausdrucksnuancen, wobei sie die Einzige war, die hin und wieder auch erfolgreich ein Piano wagte. Und bei Mariana Pentcheva liess sich das wabernde Vibrato schon längst nicht mehr unter Kontrolle halten. Am besten zurecht in diesem Sängerkrieg kamen der strahlende Bariton von Roberto Scandiuzzi, die einzige wirklich bezwingende Stimme dieses Abends.