Heilendes Lachen

Marianne Zelger-Vogt, Neue Zürcher Zeitung (18.09.2006)

Die Liebe zu den drei Orangen, 15.09.2006, Basel

Sergei Prokofjews «L'amour des trois oranges» im Theater Basel

Auf der noch leeren Bühne ein Tisch wie bei einer Medienkonferenz, dahinter Georges Delnon, der neue Direktor des Basler Theaters, und Dietmar Schwarz, der Leiter der Sparte Oper. Kaum haben sie mit der Begrüssung des Publikums begonnen, stürzen Zuschauer auf die Bühne und fordern lauthals Komödien, Schwänke, lyrische Dramen. Das ist der Beginn von Sergei Prokofjews Oper «L'amour des trois oranges» nach einem Märchen von Carlo Gozzi. Doch der Sieg des Theaters über die Realität dauert nicht lang. Die Ärzte haben sich gerade um das Bett des schwermütigen Prinzen versammelt, der verzweifelte König (Stefan Kocán) ist von Pantalon (Marian Pop) auf dem Rollstuhl herangefahren worden, da ertönt aus dem Orchestergraben ein dumpfer Knall, dann Stille, der Ruf nach einem Arzt. Als Delnon erneut auf der Bühne erscheint, ist allen klar, dass es sich nicht um einen weiteren Regieeinfall handelt. Der Dirigent Armin Jordan ist am Pult kollabiert, die Vorstellung wird unterbrochen.

Ein dramatischer Spielzeit- und Direktionsbeginn. Und dabei sollte dieser Abend doch der Lust am Spiel, der Phantasie, dem Lachen gehören. Nachdem Delnon das in den Saal zurückgerufene Publikum darüber informiert hatte, dass sich Jordans Zustand stabilisiert habe und nicht bedrohlich sei, trat der mit der Einstudierung von Probenbeginn an vertraute Lutz Rademacher ans Pult.

Und nun konnte man erleben, was Theater ist und vermag, wie die aus verstellbaren, leuchtend bunten Wandteilen bestehende Szenerie, die Figuren in ihren grotesk überzeichnenden Commedia-dell'Arte-Kostümen, der tänzerische Schwung der Bewegungen das Publikum in ihren Bann zogen. Das Team Moshe Leiser und Patrice Caurier (Regie), Christian Fenouillat (Bühne) und Agostino Cavalca (Kostüme), dem die Opernhäuser von Lausanne und Genf seit Jahren herausragende Aufführungen verdanken, beweist bei seiner ersten Produktion in der Deutschschweiz aufs Neue seine Sensibilität für das szenische und musikalische Klima eines jeden Werkes, was im Fall der «Drei Orangen» heisst: für den eigentümlichen Schwebezustand zwischen Satire und Märchen, zwischen Illusion und ironischer Brechung.

Da korrespondiert die grosse theatralische Geste spannungsvoll mit der subtilen Pointe, der bombastische Auftritt der Hexe Fata Morgana (Ursula Füri-Bernhard) mit ihrem Sturz in einen Sandkasten, der so unspektakulär geschieht, dass der von Prokofjew brillant komponierte und von Rolf Romei grandios gesungene Lachanfall des Prinzen umso grösseres Erstaunen weckt. Wenn dann der Prinz, von Fata Morgana zur Liebe zu den drei Orangen verflucht, mit Trouffaldino (Karl-Heinz Brandt) die Reise zum Schloss Créonte antritt, ist die Parallele zu Tamino und Papageno evident. Statt einer Zauberflöte führen die beiden allerdings ein Zauberband mit sich, das ihnen der gute Zauberer Tchélio (Bjørn Waag) geschenkt hat. Es wird sie bald aus den Fängen der schrecklichen Köchin (des in jeder Hinsicht kolossalen Bassisten Victor von Halem) befreien.

Auch bei Prokofjew und Gozzi geht es dann um Leben und Tod. Zwei der aus den Orangen geschlüpften Prinzessinnen sind schon verdurstet, bevor der dritten, der von Agata Wilewska charmant gesungenen Ninette, von den Theaterleuten das rettende Wasser gebracht wird. Die letzte Prüfung folgt, als Fata Morgana Ninette in eine Ratte verwandelt und die schwarze Sméraldine (Aurea Marston) ihren Platz einnimmt. Doch auch dieses Märchen findet ein Happy End, auch an diesem Königshof ist die Erbfolge am Schluss gesichert. Die machtgierige Clarisse (Rita Ahonen) und der Kanzler Léandre (John In Eichen) müssen das Spiel um den Thron verloren geben.

Georges Delnon darf aufatmen. Nicht nur die Wahl von Prokofjews «Drei Orangen» war ein glücklicher Schachzug - ein originelles, witziges, fröhlich stimmendes Werk, in welchem Theater gespielt und zugleich reflektiert wird -, auch das neu zusammengestellte Solistenensemble bewährt sich in den zahlreichen Rollen aufs Beste, der Chor kann sich verdientermassen prominent in Szene setzen, das Regieteam zeigt zur Freude des Publikums, dass deftige Komödiantik und subtile Ästhetik durchaus vereinbar sind, und das Orchester ehrt die Probenarbeit Armin Jordans wie die Kompetenz von Lutz Rademacher mit akkuratem, beschwingtem Spiel.