Sieg der Wahrheit

Roger Cahn, Blick (21.10.2003)

Der Kreidekreis, 19.10.2003, Zürich

Zwei Stunden ohne Pause zog der «Kreidekreis» von Alexander Zemlinksky das Publikum in seinen Bann. Der schwierigen Oper, 1933 in Zürich uraufgeführt, blieb der Sprung auf die Bühnen der Welt versagt. Jetzt kehrte sie ans Zürcher Opernhaus zurück. Premiere war am Sonntag.

Das chinesische Kriminaldrama aus dem 14. Jahrhundert erzählt vom Los eines armen Mädchens, das der Willkür der Macht ausgesetzt ist. Dramaturgischer Höhepunkt ist ein Mutterschaftsprozess gegen die Rivalin. Die wahre Mutter stellt das Wohl des Kindes über das eigene Glück.

So einfach die Geschichte, so kompliziert ist die Struktur der Oper. Zemlinsky verschachtelt Wagnerisches mit trivialer Musik und Cabaret-Szenen à la Kurt Weill, mischt Mahler und Strauss mit fernöstlichen Klängen. Auf der Bühne wird gesungen, gesprochen, gespielt. Das ist alles perfekt konstruiert, doch der Funke springt nur ganz selten auf die emotionale Ebene.

Regisseur David Pountney splittet alles auf: Sänger und Schauspieler teilen sich die Rollen - eine Reverenz ans japanische Kabuki-Theater. Das schafft mal Nähe, mal Distanz. Grosser Vorteil: Bei den Schauspielern versteht man jedes Wort. Die Szenerie von Johan Engels ist die ideale Mischung aus Strenge und Verspieltheit.

Am Dirigentenpult steht der junge Amerikaner Alan Gilbert, zum ersten Mal in Zürich. Er führt Orchester und Solisten auf der Bühne sicher durch die komplizierte Partitur, erzeugt Spannung und Pathos, ohne die Details zu vernachlässigen.

Aus dem Ensemble der Sänger und Schauspieler ragen Brigitte Hahn in der Hauptrolle als Mädchen Tschang-Haitang heraus, Cornelia Kallisch als Gegenspielerin Yü-pei, Lázló Polgár als reicher Mandarin, Peter Arens als Richter.

Fazit: Es wird kein grosser Publikumsrenner werden, trotz faszinierender, ästhetisch wie musikalisch überzeugender Produktion.