Böse rote Hexe, Schnöselprinz und Köchin

Michael Eidenbenz, Tages-Anzeiger (18.09.2006)

Die Liebe zu den drei Orangen, 15.09.2006, Basel

Mit Sergei Prokofjews «L'amour des trois oranges» bietet das Theater Basel dralles Vollblut-Musiktheater.

Gross war der Schreck, als bei der Premiere am Freitagabend eine Viertelstunde nach Vorstellungsbeginn Dirigent Armin Jordan mit einem Kreislaufkollaps am Pult zusammenbrach. Gross dann auch die Erleichterung des Publikums über die Nachricht nach längerem Unterbruch: Jordans Zustand sei nicht lebensbedrohlich, die Vorstellung konnte unter der souveränen Leitung des für einige Nachfolgeaufführungen vorgesehenen Deutschen Lutz Rademacher fortgesetzt werden. Am Sonntag konnte Jordan das Spital verlassen.

Einbruch der Wirklichkeit

Der Vorfall entbehrte freilich nichteiner makaberen Note: Nicht nur machte sich auf der Bühne in eben diesem Augenblick eine Schar alberner Ärzte an einem todkranken Prinzen zu schaffen, sondern die Welt der Theater-Illusion war zuvor schon durch einen Einbruch der Wirklichkeit gesprengt worden. Dort allerdings gewollt, indem als Prolog die bieder-formelle Begrüssung des Publikums durch Theaterdirektor Georges Delnon und Opernchef Dietmar Schwarz von einem gespielten Publikumsmob gestört wurde, der wahlweise nach tiefsinnigen Tragödien oder echten Komödien schrie und damit das Stück in Schwung setzte.

Denn eine Parodie auf Ästhetikstreitereien der Theaterfundamentalisten ist Sergei Prokofjews «L'amour des trois oranges» unter anderem auch. Ein paarmal noch meldet sich das «Publikum» zu Wort, was dem Stück seinen geistreichen Doppelboden gibt. Vor allem ist dieses aber ein Produkt jener Faszination für derbe Bizarrerie und für die Commedia dell'arte, die vor knapp hundert Jahren die Moderne in Musik, Literatur und bildender Kunst in dadaistische Aufruhr versetzt hatte. Von Carlo Gozzi stammt die Vorlage, Prokofjew schusterte daraus selber ein Libretto und vertonte es mit köstlicher, die Stile, Tonarten und Attitüden collagierender Unverfrorenheit. Ein Vergnügen ist es, dem Können des 28-jährigen Komponisten zuzuhören, und ein noch grösserer Spass sind die überbordenden Bildideen, die dem Regieteam Moshe Leiser / Patrice Caurier und Kostümbildner Agostino Cavalca eingefallen sind.

Drastisch ist alles: die poppig-bunten Kostüme im Stil einer Kreuzung von Commedia dell'arte mit Weihnachtsmärchentheater; die slapstickartige, durchweg ironische Körpersprache; die Spässe, die durchaus nicht auf feinsinnigen Humor zielen und schliesslich auch die Story. Der Prinz ist krank, das Königreich kann nur gerettet werden, wenn er zum Lachen gebracht wird. Nichts heitert ihn auf, nicht die Schlammcatcher im Tutu, nicht die sich auf offener Bühne entleerenden Wein- und Ölsäufer. Erst dass die Hexe auf der Scheisse ausrutscht (nein, nein: durchaus nicht feinsinnig), erheitert ihn, worauf er in unsterblicher Liebe zu drei Orangen entbrennt, in denen sich zuletzt dann auch die obligate Prinzessin findet - es ist alles ein wunderbar ergreifender Blödsinn.

Ein verheissungsvoller Weg

Und das Ensemble des Basler Theaters schauspielert und singt in ausgezeichneter Besetzung mal wieder drauflos, dass es eine Freude ist. Böse rote Hexe (Ursula Füri-Bernhard), guter weisser Zauberer (Björn Waag), ein Truffaldino mit Jonglierkünsten auf Rollschuhen (Karl-Heinz Brandt), ein König mit langem Bart (Stefan Kocán), ein Schnöselprinz (Rolf Romei) und eine kolossale Köchin (Victor von Halem) und diverse andere Gestalten sind ein Augenschmaus.

Während das Zürcher Opernhaus einen Verismo-Schinken nach dem andern aus der Mottenkiste holt, findet Basel seine Repertoire-Auffrischung im jungen 20. Jahrhundert: Nach Schostakowitschs «Die Nase» vor zwei Jahren (mit deren genialer Virtuosität Prokofjew freilich nicht ganz mithalten kann) nun also ein weiteres Beispiel russischer Absurdität - ein verheissungsvoller Weg.