Marianne Zelger-Vogt, Neue Zürcher Zeitung (22.09.2003)
Smetanas «Verkaufte Braut» im Zürcher Opernhaus.
Was kann einen Schauspielregisseur dazu verlocken, seinen Einstand auf der Opernbühne mit Bedrich Smetanas «Verkaufter Braut» zu geben? Das populäre Singspiel aus Böhmen ist nicht nur ein Meisterwerk musikalischer Charakterisierung und Milieuschilderung, seine Figuren eignen sich auch für psychologische und soziologische Fallstudien. Der von der Stiefmutter aus Hof und Heimat vertriebene Jeník, sein Halbbruder Vasek, ein stotterndes Muttersöhnchen, die zwei ungleichen Elternpaare, wohlsituiert das eine, verschuldet das andere, der Heiratsvermittler Kecal, der zum Dorf gehört und doch ein Aussenseiter ist, schliesslich Marenka, die von ihrem Geliebten vermeintlich verkaufte Braut, die sich der Fremdbestimmung widersetzt und autonom ihre Ansprüche geltend macht: Sie alle sind Charaktere von ausgeprägter Individualität, Menschen mit einer je eigenen Geschichte, deren Zusammentreffen starke dramatische Energien freisetzt.
Was aber könnte einen Schauspielregisseur davon abhalten, sich gerade an dieser Oper zu versuchen? Da gibt es einerseits die grossen Chorszenen, die besondere Metierkenntnis erfordern. Vor allem aber haftet der «Verkauften Braut» noch immer ein Beigeschmack von schmucker böhmischer Folklore an, obwohl diese längst demontiert ist - in Zürich durch die letzte, von Christine Mielitz erarbeitete Inszenierung - und einer realistischen, gesellschaftskritischen Auffassung des Stückes Platz gemacht hat. (Einer solchen Lesart ist auch die wunderbar poetische Stuttgarter Inszenierung verpflichtet, mit der Andrea Breth kürzlich als Opernregisseurin Aufsehen erregt hat.)
Matthias Hartmann, frisch gekürter künftiger Direktor des Zürcher Schauspielhauses, scheint sein Augenmerk vor allem darauf gerichtet zu haben, bei seinem Operndébut die Klippen zu umgehen. Das Schlüsselwort heisst Brechung. Das Dorf ist ein Spielzeugdorf, von Jeník und Maenka während der Ouverture aufgebaut. Da es die Bühnenfläche zu grossen Teilen besetzt, werden die Darsteller an die Rampe gedrängt. Doch hinter ihnen errichtet der Bühnenbildner Volker Hintermeier weitere Spielebenen. Auf zwei hintereinander liegenden Leinwänden werden die Figuren filmisch gespiegelt und verdoppelt - zum Teil als Reminiszenz an den berühmten Stummfilm von Ophüls -, wobei der Vorgang der Verfilmung mit ins Bild kommt. Einen weiteren, prosaischeren Blickfang bilden die Textprojektionen («Prodaná nevsta» wird diesmal in der Originalsprache gespielt). Aber auch konventionelle Bühnentechnik kommt zum Einsatz, wenn im zweiten Akt ein Platzregen die Biertrinker vor dem «Café Kecal» vertreibt, so dass Maenka und Vasek die Bühne für sich allein haben.
Turbulent bis chaotisch wirkt dieses Spiel auf mehreren Ebenen, dessen Instrumentarium zwar trendig, aber keineswegs neu ist. Doch wenn dann eine Szene quasi in Grossaufnahme, ohne Spiegelung und Brechung gezeigt wird, schlägt die hektische Bewegtheit oft in Statik um. Erst im dritten Akt entsteht eine Balance, weil hier für den Aufzug des Wanderzirkus die Filmebene wirklich sinnvoll eingesetzt und virtuos und witzig bespielt wird, die Hauptfiguren aber parallel dazu immer mehr zu sich selber kommen. Hartmanns Hand lässt sich in dieser Inszenierung nicht leicht erkennen. Dominiert wird das Bühnengeschehen von Hintermeiers bildlichem Konzept, dem Video- und Lichtdesign, den auf die dreissiger Jahre des letzten Jahrhunderts anspielenden Kostümen Su Bühlers. Auch der Chor (Leitung: Ernst Raffelsberger) wird von der Bilderflut überschwemmt: eine wogende, meist im Halbdunkel agierende Masse, die sich allerdings klangvoll Gehör verschafft.
Die Protagonisten aber passen so perfekt in ihre Rollen, dass sich Personenregie zu erübrigen scheint. In Martina Serafins Maenka gehen Resolutheit und Sensibilität eine Verbindung ein, der das leicht herbe Timbre ihres reich facettierten, subtil phrasierenden Soprans ideal entspricht. Piotr Beczalas agiler Tenor, der die Spitzentöne mit üppigem Glanz ausstattet, unterstreicht die unbeirrbare Selbstgewissheit seines Jeník und hebt sich ganz natürlich vom leichteren, lyrischen Organ Andreas Winklers ab, dessen stotternder Vasek nicht lächerlich, sondern liebenswert erscheint. Dass der Heiratsvermittler Kecal zu Alfred Muffs Paraderollen zählt, bestätigt sich in dieser Einstudierung, obwohl der tschechische Text ihn in der gesanglichen Pointierung etwas zu behindern scheint. Auch die Interpretinnen und Interpreten der kleineren Rollen steuern markante Rollenporträts bei: Valeriy Murga als Krusina, Margaret Chalker als Ludmila, Guido Götzen als Micha, Irène Friedli als Háta, Volker Vogel als Zirkusdirektor und Martina Janková als Esmeralda.
Keinen leichten Stand hat der Dirigent, der die Partitur ständig gegen die Dominanz der Bühne verteidigen muss. Peter Schneider behilft sich mit kräftigem Zugriff auf Smetanas elektrisierend vitale Musik und entlockt dem Orchester erdig pastose Farben. Das mit breitem Pinsel gemalte Klangbild verliert dadurch allerdings einiges an Konturschärfe. - Die Meinungen im Publikum schienen schon bei Halbzeit gemacht zu sein und verfestigten sich am Schluss: einhelliger Beifall für das Sängerensemble, kräftige Buhrufe (nebst Applaus) für das Regieteam. Hartmann mag sich damit trösten, dass solches in der Oper kein Ausnahmefall ist. Für sein Wirken am Schauspielhaus dürfte es so wenig ein Präjudiz darstellen wie die Inszenierung selbst.