Zum Auftakt ein toller Spass

Mario Gerteis, Zürichsee-Zeitung (18.09.2006)

Die Liebe zu den drei Orangen, 15.09.2006, Basel

Beginn am Basler Theater nicht nur mit einer neuen Spielzeit, sondern auch mit einer neuen Ära. Georges Delnon hat das direktoriale Zepter übernommen und versucht, finanziellen Einschränkungen zum Trotz, heiteren Mut zu bewahren.

Fast wäre es im letzten Moment noch schief gegangen. Dirigent Armin Jordan, ein Basler Rückkehrer aus der glorreichen Düggelin-Epoche, erlitt nach wenigen Minuten einen Kollaps. Unterbruch für dreiviertel Stunden, Lutz Rademacher (der das Werk einstudiert hatte und später einige Aufführungen leiten soll) nahm vor dem Orchester Platz und führte das Unternehmen erfolgreich zu Ende - mit all dem Witz und der Schärfe, die aus Prokofjews Partitur leuchten. Jordan soll sich, wie man am Schluss erfuhr, wieder auf dem Weg der Besserung befinden.

Absurdes Märchen

«Die Liebe zu den drei Orangen» (in Basel in der französischen Originalfassung mit deutschen Übertiteln geboten) hat einen herrlichen und für das neue Basler Team fast schon symbolischen Prolog. Da streiten nämlich (Pseudo-)Zuschauer über das richtige Theater, die einen wollen ein Rührstück, die anderen eine Farce, gewisse schwärmen für die Tragödie und manche eher fürs Komische. Schliesslich siegen die «Lächerlichen» - sie jagen Intendant Delnon und seinen Operndirektor Dietmar Schwarz von der Bühne und kündigen ein Stück an, das alle Elemente in sich vereint. Und das vor allem Spass macht.

Das ist nun eben «L'amour des trois oranges», eine dralle Opera buffa, die sich an die italienische Commedia dell'arte des 18. Jahrhunderts anlehnt. Dort hatte Sergej Prokofjew auch seinen Stoff gefunden, bei einem bizarr-surrealen Schauspiel Carlo Gozzis. Eine ganz und gar absurde Sache, eine Kampfansage gegen Naturalismus und den poetischen Konkurrenten Goldoni. Die Fabel erzählt von einem melancholischen Prinzen, der nur durch Lachen geheilt werden kann. Kaum hat er dies über diverse Umwege geschafft, kommt die nächste Katastrophe: Die böse Fee Morgana verwünscht ihn, sich in drei Orangen zu verlieben. Immerhin, in einer von diesen findet er sogar seine grosse Liebe, Prinzessin Ninette.

«Märchen, Scherz und Satire» erkannte der junge Prokofjew in dieser Vorlage, die er gleich nach seiner Emigration aus der Sowjetunion 1918 zu vertonen begann; die Uraufführung fand drei Jahre später in Chicago statt. Es ist das spontanste, witzigste und erfolgreichste der sechs Bühnenwerke des russischen Komponisten - der grosse Spötter Jacques Offenbach lässt grüssen. Nicht tiefschürfend, aber sprudelnd vor frechen und anzüglichen Einfällen. Denn auch höhere Mächte mischen sich ins verzwickte Geschehen, und mit dem machtgeilen Paar Léandre/Clarice ist handfeste politische Parodie verknüpft.

Turbulent und farbenfreudig

Sein Debüt in der deutschen Schweiz - nach diversen Kostproben in Genf und Lausanne - gab das erfolgreiche französisch-belgische Regieduo Moshe Leiser und Patrice Caurier. Sie müssen nicht auf Verfremdung machen, denn die ist schon einkomponiert. Wichtiger sind Tempo und Bewegung, und wenn der immer noch beste schweizerische Theaterchor zu den herrlich schrägen Klängen des bekannten Marsches tänzelnd die Bühne betritt, ist das optische Vergnügen perfekt. Dazu tragen natürlich das Bühnenbild von Christian Fenouillat (riesige verschiebbare Wände plus halbillusorische Requisiten) und insbesondere die ebenso grotesken wie farbenprächtigen Kostüme von Agostino Cavalca entscheidend bei. Offenbar durften bei dieser Basler Inauguration alle Verantwortlichen sich verschwenderisch bei Stoffen und Masken bedienen. Das üppig überquellende Füllhorn der Phantasie wird generös geöffnet.

Neue Theaterdirektoren bringen meist auch ein weitgehend neues Ensemble mit. In Basel wird in dieser Beziehung nicht allzu heiss gekocht. In den «Drei Orangen», die ja in erster Linie eine Ensembleoper sind und ausgedehnten vokalen Soli bloss beschränkten Platz bieten, lässt sich eine wohlkalkulierte Mischung von bewährten Kräften und Neuzuzügern erkennen. Zu den Ersteren gehören etwa Andrew Murphy (als machtgeiler Léandre, der selbst in der Badewanne seine Orden trägt) und Rita Ahonen (als seine sexy Gespielin Clarice), dann Karl-Heinz Brandt als munterer Trouffaldino und Björn Waag als guter, wenn auch übertölpelter Geist Tchélio; neu sind etwa Rolf Romei (ein poetischer Prinz) sowie Stefan Gocan als sein bramarbasierender königlicher Vater, während Ursula Füri-Bernhard eine abgrundtief böse Fata Morgana auf die Bühne stellt und prompt in der Hölle versinkt.

Wenn man den rund eine Viertelstunde dauernden, kräftig mit Bravorufen gewürzten Beifall des Premierenpublikums als symptomatisch für die Zukunft des Basler Theaters nehmen mag, kann diese nur rosig sein. Mal abwarten.