Herbert Büttiker, Der Landbote (22.09.2003)
Aus der Dorfgeschichte macht das Opernhaus eine grosse Regiekiste. Darin gibt es auch ein Ensemble, das eigentlich ganze Arbeit leistet: lebendige Figuren und musikalisches Glück auf die Bühne zaubert.
Da gibt es beispielsweise jenes «dolce amoroso» des Duetts, das im Opernhaus wieder zu hören einfach ein musikalischer Glücksfall ist, und wenn es später als Erinnerungsmotiv im Orchester wiederkehrt und nun gefährdetes und schliesslich verlorenes Glück bedeutet, im einfachen musikalischen Sachverhalt grosses Musiktheater entstehen lässt. Im Orchestergraben waltet hier die Behutsamkeit instrumentaler Zartheit (Klarinetten!), über die in dieser Produktion Peter Schneider sorgsam wacht, ein Dirigent, der auch die emotionale Wärme und die Brillanz in der Partitur nicht unterschlägt. Auf der Bühne geben sich Martina Serafin und Piotr Beczala sotto voce und aufblühend der Terzensüsse des Stücks hin, dass man meint, es dürfe nie zu Ende sein: zwei ideale Stimmen voller Timbre und Spannkraft.
Letztere ist nicht nur hier gefragt, wo es sich um das Sphärische der Liebe handelt, sondern vor allem auch im erdnahen Bereich der bäuerlichen Charaktere. In all dem überschäumenden Tenorglanz, mit dem Beczalas Hans in seiner Arie im zweiten Akt auftrumpfen kann, wird eben auch deutlich, dass in der strahlenden Gewissheit, was die Liebe und das Gelingen seines listigen Plans betrifft, auch der Eigensinn eines hemdsärmeligen Querkopfs mitschwingt. Darob wird das Dorfstück ja auch zum Drama mit der grossen Soloszene der Marie, die, in die Pläne ihres Partners eben nicht eingeweiht, Grund zur Verzweiflung hat. Martina Serafins Sopran gibt ihr alle emotionale Fülle vom zurückgenommenen «doloroso» bis zur «grande espressione», die Smetana vorschreibt, ein Höhepunkt des Abends. Packend dann, wie in der anschliessenden Duettszene die kontrastierenden Stimmungen im temperamentvollen Staccato aufeinander prallen und in der Pointiertheit des Zanks auch der Humor spürbar wird, der das Finale schon vorwegnimmt.
Das Wesentliche
Das Besetzungsglück, von dem hier die Rede ist, hat kräftige Seitenarme. Alfred Muff spielt den Kecal in seiner ganzen impertinenten Statur nicht nur mimisch grossartig aus, sondern charakterisiert die stumpfe Trockenheit und miserable Geschäftstüchtigkeit des Heiratsvermittlers allein schon in der rhythmischen Prägnanz und souverän kontrollierten Musikalität. Ein genauer Kontrast zur markigen Parlandokunst verkörpert sein schmächtiger und stotternder Klient Wenzel, den Andreas Winkler mit schlankem Tenor gibt. Was seine Körpersprache betrifft, fragt man sich, ob weniger nicht mehr wäre. Dass die Komödie mit dem feinen Zeichenstift gut bedient ist, zeigen jedenfalls die weiteren Figuren: die Krusinas von Valery Murga und Margret Chalker, die Michas von Guido Götzen und Irène Friedli, aber auch, mit gebührender Exzentrik, die Zirkusleute (Volker Vogel, Martina Jankova und Horst Lemek). Zur Stimmigkeit des Ensembles trägt die differenzierte und unaufdringeliche Kostümierung der Figuren (Su Bühler) das ihre bei, und man meint, damit könnte eigentlich das Wesentliche für eine «Verkaufte Braut» getan sein.
Aber die Inszenierung scheint im Gegenteil dies alles nur vorauszusetzen, um noch ganz andere Wege einzuschlagen. Matthias Hartmann, sein Bühnenbildner Volker Hintermeier, dazu Licht- und Videodesigner und eine ganze Schauspielercrew beschäftigen sich aufwendig damit, das Spiel im Vordergrund kaleidoskopartig zu vervielfältigen. Auf einer erhöhten Bühne weit im Hintergrund sieht man Schauspieler die Szenen in der Manier des Stummfilms nachspielen. Per Videokamera wird diese Kintopversion der «Verkauften Braut» auf ein grosse Leinwand zwischen Vorder- und Hinterbühne projiziert. Noch näher am Bühnenportal kommt eine zweite Projektionswand zum Einsatz, auf der in Grossaufnahme zu sehen ist, was sich in den Chorszenen, die ein undurchdringliches Getümmel sind, dem direkten Blick entzieht.
Das alles ist gewiss technisch raffiniert und ästhetisch apart, aber natürlich lenkt es sehr von der Hauptsache ab. Ein «Sinn» im mulitmedialen Overkill zeigt sich in zweifacher Hinsicht. Die Zirkusszene wird zum vergnüglichen Leinwandspektakel, das die Dorfbewohner verfolgen, wobei das Opernhauspublikum auf der Bühne gleichzeitig sieht, mit welchen harmlosen Kameratricks die Schwertschlucker und Messerwerfer zu ihren mörderischen Kunststücken kommen. Der hübsche Effekt ist freilich nur die Zugabe. Die eigentliche Motivation für den Videoeinsatz offenbart wohl das Finale des ersten Aktes mit Polka und Furiant: die Folklore als Crux neuerer Inszenierungskunst, die sich den böhmischen Sonntag verboten hat.
Die Lobeshymne auf das Bier im zweiten Akt hat schon manchem Regisseur den rettenden Einfall gebracht, bereits den ersten im volkstümlichen Vollrausch enden zu lassen und so das Tanzen im Torkeln aufzuheben. Das ist hier nicht anders, nur dass die Verlegenheit, um die es eigentlich geht, hier durch den ästhetischen Kick der Videoprojektion glatt überspielt wird, so dass selbst das spöttische Revival der Trachtengruppe zum artifiziellen Leinwandflimmern verklärt erscheint. Aber der Betrug an der Sache – diese heisst eben Polka und Furiant – bleibt natürlich und schmerzt.
Viele Möglichkeiten
Die Reklamation im Publikum kam schon am Ende des ersten Aktes und geballter am Ende des Abends. Bis dahin liess sich allerdings auch vieles wieder relativieren. Mit einem veritablen Wolkenbruch nach der Wirtshausszene erhält die Bühne plötzlich atmosphärische Räumlichkeit, in der Soloszene der Marie sogar kosmische; die filmische Aufsplitterung verliert sich für manche Szene, der Chor meldet sich nüchtern und in musikalischer Klangfrische zurück, die grossen Szenen wie das Sextett rücken, sorgfältig herausgearbeitet, unverstellt ins Zentrum, und der filmische Witz der Zirkusszene hat die Lacher auf seiner Seite. Matthias Hartmann, der künftige Schauspielhausdirektor in Zürich, der zum ersten Mal eine Oper inszenierte, das hat der Abend gezeigt, ist ein Mann der grossen Kelle und der vielen Möglichkeiten. Dass nicht er, sondern das Ensemble, das sich in seiner trickreichen Regiekiste behauptet hatte, das dicke und ungeteilte Lob entgegennehmen konnte, war aber nachzuvollziehen.