Zucker in Böhmen: Clever begonnen, dann zerronnen

Benjamin Herzog, Basler Zeitung (22.09.2003)

Prodaná nevesta, 20.09.2003, Zürich

Matthias Hartmann inszeniert seine erste Oper:
Smetanas «Die verkaufte Braut» im Zürcher Opernhaus.

Aus dem Sommerschlaf erwacht sind die Opernhäuser und bescheren ihrer ausgehungerten, höchstens von einer teuren Festival-Diät ernährten Klientel eine Premiere nach der anderen. Nach Basels «Traviata», Luzerns «Holländer» folgt nun auch Zürich, und zwar mit einer komischen Oper, mit Bedrich Smetanas «Die verkaufte Braut». Eine Premiere in der Premiere stellte die Regie dar. Matthias Hartmann, kürzlich ernannt zum Schauspieldirektor und Marthaler-Nachfolger ab 2005, gab mit Smetanas selten aufgeführtem, aber immer noch blühenden Evergreen sein Debüt als Opernregisseur.

Dass Hartmann vom Sprechtheater kommt, war zu merken. Auf einer leeren Bühne nimmt das Spiel seinen Anfang. Spartanisch, wie wir das vom Schauspiel gewohnt sind, eher jedenfalls als von der immer noch gerne zur Opulenz neigenden Oper. Wie gings weiter? Eine «Verkaufte Braut» ohne tschechische Folklore ist ähnlich schwer vorstellbar wie etwa eine ahispanische «Carmen». Dass aber gerade eine solche letztes Jahr in Zürich gegeben wurde, erhöhte das Interesse an dieser Inszenierung. Nun, das Tschechische hat Hartmann konsequent neu gelesen, aktualisiert oder gebrochen. Das böhmische Dorf wird in Spielzeuggrösse auf die Bühne gestellt, das Lob des Bieres, welches hier explizit gesungen wird, könnte von der Firma «Budweiser» gesponsert worden sein. Da mundet das Gebräu plötzlich nicht mehr so sehr. Die stärkste Ablenkung aber vom Folkloreverdacht gelingt durch den starken Einsatz von Videotechnik.

Schwarzweissbilder wie aus der Stummfilmzeit zeigen uns ein recht unhehres Liebespaar. Jenik - ein saufender Grobian. Marenka - eine keifende Nervensäge. Das Ziel der Handlung, die sozial und hormonell erfolgreiche Zusammenführung dieser beiden Liebenden, wird so mit einer Ebene konfrontiert, die wir Desillusionierten eher als Realität anzuerkennen bereit sind.

Das Spiel von Bühne und Video, von verschiedenen Abstufungen des Realen, führt aber weniger zu einer ernüchterten Sichtweise des Stoffes, sondern generiert interessanterweise gerade eine zauberhafte Stimmung. Dank dem Einsatz eines virtuosen Videoteams erleben wir die Zauberkünste der im dritten Akt auftretenden Artisten als beeindruckende Tricks und nicht als mühsame Zirkusnostalgie.

Die Entfolklorisierung ohne ins Mattgraue zu verfallen scheint mit diesem cleveren ästhetischen Balanceakt gelungen. Mit Kritik am Verkaufen von Frauen, speziell von Bräuten, hält sich Hartmann indes zurück. Zeigte Frank Hilbrich in der Basler «Traviata» doch recht deutlich, dass Liebe käuflich ist, so begnügt sich Hartmann mit Hinweisen auf den kommerziellen Aspekt des Liebens wie des Lebens überhaupt. Hochzeitskleider werden mit Preisschild vorgeführt. Und die Eltern von Marenka kommen eben vom Einkauf zurück, tütenbeladen, da läuft ihnen der Heiratsvermittler Kecal entgegen, im Sichtmäppchen ein tolles Angebot für die unter die Haube zu Bringende. Die Verhandlungen finden des Weiteren, logischerweise, im Café Kecal statt.

Alfred Muff sang und spielte den Kecal solid, halb buffonesk, halb unsympathisch. Sängerische Glanzleistungen erbrachten Martina Serafin und Piotr Beczala in den Hauptrollen. Ein ideales Paar, sich ebenbürtig punkto Spitzenton-Akrobatik, er dazu mit weicher Kraft ausgestattet, sie mit einer beeindruckend grossen Palette vom Dramatischen bis zum Lyrischen.

Andreas Winklers heller, federleichter Tenor war auch durch das Stottern seines Vasek noch vernehmbar. Gesungen wurde auf Tschechisch. Das Orchester unter Peter Schneider lieferte das nötige Quantum Spritzigkeit und Melos, war auch mal übertönend und der gefährlichen Ouvertüre nicht gewachsen.

Die kritisch begonnene, moderne Inszenierung kippte schliesslich, endete in heiterem Bühnenjubel und Konfettiregen, als ob das nicht anders möglich wäre. Ich empfand das als Zugeständnis, als Zurückkrebsen vom einmal Begonnenen. Das war wieder zuckrige, altbackene Opernopulenz. Bunt, aber schade.