Herbert Büttiker, Der Landbote (08.09.2003)
Er kommt nicht nur aus der Versenkung, sondern geradezu aus dem Verlies der Operngeschichte: Antonio Salieri, der Komponist, den das Gerücht zum Mörder gemacht hat. Dass ihm als Musiker alle Ehre gebührt, zeigt nun die Inszenierung seines «Axur» auf der Winterthurer Bühne.
Wer Salieri sagt, spricht in der Regel von Mozart. Von ihm hier nur so viel. Zur selben Zeit als sich Mozart mit Pierre August Beaumarchais’ Stück «La folle journée ou Le Mariage de Figaro» beschäftigte, genoss Antonio Salieri (1750–1825) in Paris nicht nur den Triumph seiner Oper «Les Danaïdes», sondern machte auch die persönliche Bekanntschaft mit dem skandalumwitterten Bühnenautor. Beaumarchais hatte hochfliegende Pläne einer neuen Musikdramaturgie und fand in Salieri den Partner zu einem Projekt mit dem Titel «Tarare». Der sensationelle Erfolg dieser Oper trug dem Hofkomponisten den Auftrag zu einer Neueinstudierung in Wien ein. An Stelle einer blossen Anpassung an die Übersetzung ins Italienische komponierte Salieri das Werk weit gehend um. Sein Textmitarbeiter war dabei niemand anderer als Lorenzo da Ponte, der im Herbst 1787 gleich mit drei Opern beschäftigt war: für Martín y Soler, für Mozart und für Salieri. «Don Giovanni» kam am 29. Oktober in Prag heraus, «Axur, re d’Ormus» als Festoper in Wien am 8. Januar 1788.
Ins beste Licht gerückt
Mozart und Salieri: Die Beschäftigung mit der wohl berühmtesten Unperson der Musikgeschichte (dazu lädt eine Biografie von Volkmar Braunbehrens ein) lenkt die Aufmerksamkeit auf andere Dinge als Gift und Meuchelmord, und ebenso entschieden lädt nun die Begegnung mit Salieri auf der Winterthurer Bühne dazu ein, das Werk dieses Komponisten in seiner Eigenständigkeit wahrzunehmen – und zu geniessen. Dass es sich nämlich um Musik handelt, die den Figuren berührenden melodischen Ausdruck verleiht, die Handlung in ausdrucksvollem Accompagnato und knappen ariosen Formen flüssig vorantreibt und dramatisch packende Momente gestaltet, ist die erste Feststellung, die zu machen ist.
Das liess die Aufführung immer wieder auch ohrenfällig werden. Dafür sorgte Theodor Guschelbaur, der die musikalische Einstudierung verantwortet - eingeschlossen Arbeit am Notenmaterial und weit gehende Kürzungen - und an der Premiere so viel Umsicht wie Temperament walten liess. Das Orchester des Musikkollegiums griff den Schwung, mit dem er das Werk in Angriff nahm, von Beginn weg impulsfreudig auf und legte dem Ensemble ein sicheres Fundament. Eindrückliche Momente rein orchestraler Musik – beispielsweise die leidenschaftlich aufgewühlte Einleitung der Aspasia-Szene – rückten zudem den starken Anteil des Instrumentalen an der szenischen Wirkung der Oper ins beste Licht.
Nachvollziehbar also der seinerzeitige Erfolg dieses Komponisten und seine Bedeutung als durchaus innovativer Musikdramatiker in der Nachfolge Glucks, begründet auch die Anteilnahme eines heutigen Publikums, wobei es an der Aufführung gelegen haben mag, dass die beiden Schlussakte einen stärkeren Eindruck hinterliessen als die drei ersten. Die Gründe dafür sind wohl vielfältig. Das düstere erste Bild und die bemühte Erotik auf dem Bühnenboden trübten den ersten Blick auf die Oper, auf die Atmosphäre von Idylle und (Liebes-)Idealität und den dramatischen Umschlag, mit dem sich der böse Kontrapunkt einschaltet und damit die Handlung um den Herrscher Axur einsetzt, der vor keiner launenhaften Willkür zurückschreckt und seinem glücklichen und loyalen Untertan Atar die geliebte Frau entreisst – eben weil er loyal, glücklich und geliebt ist.
Die Verlegung der Handlung vom exotischen Ambiente Persiens ins dekadente Milieu des faschistischen Italien zeitigt einiges an spektakulärer Bizarrerie im Outfit (Bühne und Kostüm: Bruno Schwengl), die man aber auch nicht zwingend bewundern muss, und verstellt mit seinen Ansätzen zu zeitgeschichtlichem Realismus das Werk mehr, als dass sie es erhellt. Denn die naive Drastik und manchmal auch Komik, mit der dieser Gewaltherrscher wütet, dann die ebenso extreme Konsequenz, mit der das Opfer die ihm zu Hilfe Eilenden in die Schranken der Untertanentreue zurückweist und die Revolution zu seiner Rettung verhindert – all das gehört in die Sphäre des Märchens beziehungsweise der Parabel. Abgesehen von der Schieflage vieler Details des Librettos, ist der Glaubwürdigkeit nicht gedient, wenn die Hauptfigur zu einem Miniduce wird, der mit der Pistole wild herumschiesst und seinen Untertanen die Penne all'arrabbiata höchst eigenhändig schöpft. Atars unterwürfige Handlungsweise und der Schluss der Oper, die mit dem Selbstmord Axurs, aber auch – passend in die Josephinische Aufklärung – mit einem Sieg des Loyalitätsprinzips endet, werden im Raum dieser Inszenierung (Regie: Dieter Kaegi) geradezu unverständlich.
Rabenschwärze und Blässe
Ein Hinweis auf jene andere Festoper dieser Zeit, Mozarts «La clemenza di Tito» drängt sich hier ja auf. Und con clemenza fahren wir fort. Denn der gegebene Interpretationsrahmen der Inszenierung ist nur das eine, Gesang und Spiel des Ensembles, das sich darin bewegt, das andere, und dieses vermochte die prinzipiellen Vorbehalte durch die weit gehend prägnante musikszenische Darstellung, die hier zu erleben war, durchaus auch zu relativieren. Das galt für den Chor – den einsatzfreudigen Zusatz- und Jugendchor des Opernhaus – wie für die Protagonisten. Franco Vassallo gab dem wütenden Tyrannen vor allem mit griffiger Deklamation Profil, und was an Verhärtung und auch drückender Intonation stören mochte, war leicht ebenfalls auf das Konto der Rabenschwärze des Charakters abzubuchen. Der Tenor Lawrence Brownlee in der Rolle seines Gegenspielers Atar überzeugte mit der Sensibilität seines hellen Tenors am meisten in den lyrischen Momenten des ersten Aktes, aber es wurde auch immer deutlicher, dass er die dynamisch expressiven Möglichkeiten der Partie kaum wahrnehmen konnte und in seiner monotonen Stimmführung aufs Ganze gesehen blass blieb.
Der Sopran im Zentrum
Aber die kulminierende Gesangsszene des Werks gehört ohnehin dem Sopran. Die grosse und musikalisch reich gegliederte Arienszene der Aspasia im vierten Akt war auch der Moment für Elizabeth Rae Magnuson mit Temperament und expansiver Kraft ihre Figur (hier wenigstens auch einmal vom Kostüm unterstützt) berührend ins Zentrum zu rücken. Eindrücklich dann auch die Nähe zum Heroismus der Fidelio-Leonore, wobei die Inszenierung diesen Bezug durch den freien Umgang mit dem Text nicht unproblematisch herausstreicht. Als besonders geglückt in der reinen musikalischen Phrasierung bleibt auch die anschliessende Duettszene mit der ihr treu ergebenen Fiammetta in Erinnerung. Christiane Kohl hatte zuvor schon in der Harlekinszene musikalisch gute Figur gemacht und mit vifem und griffigem Ton das Entscheidende zu diesem Kabinettstück der Partitur beigetragen. Bohuslav Bidzinski und Martin Zysset waren die nicht weniger profilierten Partner in dieser Maskerade. Bidzinski überzeugte darüber hinaus besonders auch in der Rolle als Biscroma, die in ihrer schillernden Anlage wohl interessanteste Figur des Stücks. Wie er sich mit Ironie und figarohafter Wendigkeit in der prekären Zwischenstellung als Vertrauter Axurs und Freund Atars hält und schliesslich den Aufstand anzettelt, lässt an Schillers Marquis Posa denken – «Don Carlos» erlebte seine Uraufführung im «Don-Giovanni»-Jahr und nur Monate vor «Axur». Auch dies ein Hinweis, dass Salieri mit seinem Hauptwerk, wenn nicht auf der Höhe Mozarts, so doch auf der Höhe seiner Zeit war.