Gattenliebe im Serail und der König als Faschist

Heinz W. Koch, Badische Zeitung (08.09.2003)

Axur, Re d'Ormus, 05.09.2003, Winterthur

Mit einer Ausgrabung in die neue Saison: Die Zürcher Oper spielt Antonio Salieris "Axur" im Theater am Stadtgarten in Winterthur

Lorenzo Da Ponte - ein Leisetreter? Wien - ein Ort, der aufrührerisches Gedankengut nur hinter vorgehaltener Hand opportun erscheinen ließ? Man könnte darauf kommen, vergleicht man, wie Mozarts berühmter Librettist den "Tollen Tag" des Beaumarchais in der "Hochzeit des Figaro" verharmloste, wie er später Antonio Salieris Pariser "Tarare" des selben Textbuchautors als "Axur, re d'Ormus" in der Hauptstadt der Donaumonarchie zurechtstutzte. Joseph II. hatte den Auftrag zur italienischen Version erteilt - aber eben bitte nicht gar so radikal. Dennoch und der Wahrheit die Ehre: Einiges blieb vom vorrevolutionären Kratzen am Ancien Régime sehr wohl erhalten.

Auch dieser "Axur, König von Hormus" - Uraufführung 1788, nur ein starkes halbes Jahr nach dem französischen Original - schreckt vor herber Kritik an herrscherlichem Machtmissbrauch nicht zurück. Wie denn auch, wenn dieser hemmungslose Potentat seinem besten Krieger und Lebensretter Atar die Frau rauben und in sein Serail verfrachten lässt? Indes, sie widersteht seinem Werben, und die Gatten finden einander in ungewohnter Umgebung wieder. Atar avanciert auf Volkes Drängen zum König, dieweil der fiese Vorgänger sich selbst entleibt. Das Ganze verläuft in diesem Intrigenstadl freilich wesentlich komplizierter, als es sich hier liest, und auch der Klerus verhält sich nicht übertrieben nobel.

Den "Tarare" gab es vor anderthalb Jahrzehnten in Schwetzingen und Karlsruhe. "Axur, re d'Ormus" ist dieser Tage im Theater am Stadtgarten in Winterthur zu begutachten. Schon seit einer Weile pflegt die Zürcher Oper dort ihre Spielzeit zu eröffnen. Wir sehen uns dabei allerdings mitnichten einer persischen Golfszenerie gegenüber. Der königliche Nichtsnutz ist vielmehr ein lupenreiner italienischer Faschist, und Dieter Kaegis Inszenierung ist samt Bruno Schwengls Ausstattung Pasolinis Film "Die 120 Tage von Sodom" nachempfunden. Atar, der eigentlich als stummer Schwarzer in den Harem geschleust wird, trägt hier einen - Hundekopf. Aber gerade das wirkt nicht etwa widerwärtig, sondern fatalerweise eher harmlos, wenn nicht putzig. Der Auftritt unterläuft das angestrebte Klima kaum mehr nur latenter Gewalt, ein Ambiente, in dem die Pistole locker sitzt und ein Menschenleben wenig zählt. Freilich, die Aufführung ist seriös gearbeitet. Sie offenbart in ihrem geheimnisschwangeren Helldunkel durchaus Vorzüge, die gleichwohl auch durch den königlichen Klischeebösewicht mit Augenklappe gemindert werden. Und das Komische am "Dramma tragicomico" hält sich auf der Bühne in Grenzen.

Im Zentrum steht ein Sängertrio von Rang: Um Elizabeth Rae Magnuson, Zürichs kapitale Hausbesetzung für Mozart-nahe Dramatik als Aspasia, gruppieren sich zwei neue Ensemblemitglieder mit größter Zukunftsperspektive - Lawrence Brownlee, ein ganz leichter, feiner lyrischer Tenor als Atar, und Franco Vassallo in der Titelpartie, ein kompakter Bariton viril-italienischen Zuschnitts, der's nur mal mit ein paar Zwischentönen probieren müsste.

Die um fast eine Stunde ausgedünnte Musik wird von Theodor Guschlbauer und dem Orchester Musikkollegium Winterthur vorteilhaft im Fluss gehalten - eine gewinnende Interpretation, die gerade dadurch die Vorzüge Salieri'schen Komponierens nahe bringt. Mit Banalitäten, dass der Gegenspieler Mozarts tatsächlich in keinem Moment an den Beneideten heranreicht, muss man sich dabei nicht aufhalten. Mitunter ist es sogar, als zöge er Nutzen aus dem Umstand, dass ihm nie eine unverwechselbar-tiefsinnige Wendung "à la Mozart" zufällt: indem er seine Arien - oder besser: arienähnlichen Gebilde - bewusst knapp hält, betont kurz angebunden, kaum ausholend.

Etliches business as usual, sicher. Aber: Die Musik geht medias in res, reagiert blitzschnell, ohne (Vorspiel-) Umschweife auf die Emotionen der Gestalten, die dramatische Situation - kaum Rezitative, und wenn, dann Accompagnati, Orchester-begleitete, die im Grunde einem immerwährenden Arioso nahe sind, das auf Gluck'sche Art dem Wort auf der Spur ist. Wenn's nicht gar zu kühn wirkt: Bei Salieri gibt es die Vorform dessen, was später zu Wagners unendlicher Melodie anwächst. Kein geringes Verdienst - oder?