Gemessenes Dahinschreiten unterm Bühnenvollmond

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (24.10.2006)

Ernani, 21.10.2006, St. Gallen

Antiquierter kann man Oper nicht mehr auf die Bühne bringen als es das Theater St. Gallen mit Verdis «Ernani» getan hat: eine Kostümorgie, stereotype Sängergesten und behäbige Bewegungen quer durchs gesamte Ensemble.

Das einzige, worauf es ankam, waren - so schien es bei der St. Galler Premiere von Giuseppe Verdis Oper «Ernani» am Samstag - die üppigen Kostüme. Für jede Person hat der Ausstatter und Regisseur in Personalunion, Massimo Gasparòn, Stoff für zehn verwendet. Und tatsächlich ist das ein Fest fürs Auge - aber kein Vergnügen für einen ganzen Abend und schon gar nicht für eine adäquate Umsetzung dieser Verdi-Oper. Denn anders als in «Nabucco» und «Lombardi», den beiden vorangehenden Stücken, die Verdi für Mailand komponierte und damit seinen frühen Ruhm begründete, lebt «Ernani» nicht so sehr von den grossen Szenen, sondern - zum ersten Mal bei Verdi - von den persönlichen Konflikten zwischen den vier Protagonisten.

Victor Hugos Drama «Hernani» war die Vorlage für diesen Auftrag des Teatro La Fenice in Venedig. Francesco Maria Piave arbeitete zum ersten Mal als Librettist für Verdi. Zusammen schufen die beiden erst 30-jährigen Künstler eine hochdramatische Oper, deren Figuren zwischen den Anforderungen von Amt und Ehre und ihren persönlichen Ambitionen und Emotionen folgenschwere Entscheidungen treffen müssen.

Inverardis betörend schöner Bariton

Musikalisch bietet das Werk wunderbare Vorlagen für fähige Verdi-Sänger: Gelegenheit zum Brillieren und viel Raum für gestalterische Akzente. Tatsächlich sind in dieser St. Galler Produktion auch zwei Stimmen zu hören, für die sich die Reise lohnt: Als Carlo eine veritable Entdeckung ist der junge italienische Bariton Ivan Inverardi, der in Italien bereits grosse Rollen an grossen Bühnen gesungen hat, und nun auch hier Stilbewusstsein, gestalterische Ausdruckfähigkeit und wenn nötig auch Strahlkraft auf der Basis seines betörend schönen Baritons demonstrierte. Sein «Veni meco, sol di rose» war der Sänger-Höhepunkt des Abends, gerade weil er es ganz in wunderschön gespanntem Piano sang. Auch Roberto Scandiuzzi, weltweit eine feste Bass-Grösse im italienischen Repertoire, liess als Silva seine Qualitäten aufblitzen. Etwas dunkel und verschattet bisweilen im Timbre, aber sonst ebenso wie sein Bariton-Kollege ein Musterbeispiel an stilvollem Verdi-Gesang.

Als Elvira zeigte Raffaela Angeletti ebenfalls gute Ansätze. Aber ihre Neigung zu kraftvoll ausgesungenen Forte-Phrasen liess ihre Stimme in der Höhe immer öfter in ein wenig geformtes, schrilles Forcieren kippen. Der Brasilianer Juremir Vieira, seit Jahren in St. Gallen in den italienischen Tenor-Rollen engagiert, vermochte mit seinen Kollegen in keiner Weise mitzuhalten. Seine Stimme ist beschränkt im Volumen und eng und eindimensional im Timbre. Zudem wurde er vom Dirigenten Alberto Hold-Garrido wiederholt zugedeckt: Ein Teufelskreis: Je mehr er forcierte, desto dünner und blasser wurde seine Stimme.

Ein Regisseur wäre nicht schlecht

Dirigent Hold-Garrido allerdings hatte andere Sorgen und alle Hände voll zu tun, das auf vielen Positionen nicht wirklich sattelfeste Orchester zusammenzuhalten. Es dauerte bei fast jedem Beginn oder Tempowechsel ein paar Takte, bis alle dasselbe Metrum intus hatten. Und bis dann die unwichtigen Begleitfiguren ihr dynamisch passendes Mass gefunden hatten, war die Arie meistens auch schon vorüber.

Über die Inszenierung müssen keine weiteren Worte verloren werden. Eine heftigere Bewegung als gemessenes Schreiten scheint Massimo Gasparòn verboten zu haben. Der Chor stellt sich grundsätzlich im Halbkreis auf. Die Sparsamkeit der Sängergesten wird nur durch ihren stereotypen Charakter übertroffen. Vielleicht sollte man das nächste Mal einen Regisseur engagieren. Er kann ja dann auch die Kostüme entwerfen.